■ Der Kohlendioxidanteil in der Erdatmosphäre ist seit der Industrialisierung um ein Drittel gestiegen. Geht es so weiter, könnte das Klima kippen Von Wolfgang Löhr: Ein ganz anderer Planet
Das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg hat Simulationen zum Treibhauseffekt bis zum Ende des nächsten Jahrtausends durchgeführt: Selbst bei einer Stabilisierung der derzeitigen Ausstoßmenge an klimarelevanten Schadstoffen würde die Durchschnittstemperatur um weitere sechs Grad steigen. Die Folgen für unseren Lebensraum
sind unabsehbar.
Entwarnung ist nicht angesagt. Auch die neuesten Klimaberechnungen am Hamburger Max-Planck-Institut (MPI) für Meteorologie gehen davon aus, daß sich die Erde weiterhin aufwärmt, wenn nicht Maßnahmen ergriffen werden, die zu einer einschneidenden Reduzierung der Treibhausgase führen.
Bis zum Jahr 2050 wird sich die Erde um ein bis drei Grad Celsius erwärmt haben, sagen die Klimaforscher voraus. „Business as usual“, umschreibt der Rat für Klimaveränderungen der Vereinten Nationen (IPCC) das „Klimaszenario A“, bei dem von einer weiterhin ungebremsten Zunahme der klimarelevanten Schadstoffe um jährlich ein Prozent ausgegangen wird. Dies würde eine Verdoppelung der Treibhausgaskonzentration bis 2050 bedeuten.
Schon wenn man die Erwärmung dauerhaft auf 1,5 Grad begrenzen will, müßten die Industrieländer ihren Ausstoß in hundert Jahren auf weniger als die Hälfte drücken. Simulationen am Max-Planck- Institut für Meteorologie haben ergeben, daß selbst, wenn man jetzt die Höhe des Ausstoßes sofort stabilisiert, bis zum Jahr 3000 die Durchschnittstemperatur um weitere sechs Grad steigt. Im „Weiter so“- Szenario stiege die Temperatur sogar um zehn Grad. „Dann hätten wir einen komplett anderen Planeten“, warnt Hans-Joachim Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung.
Um ein halbes Grad ist nach Angaben des IPCC die gemittelte Welttemperatur in diesem Jahrhundert bereits angestiegen. In den arktischen Regionen lag der Wert etwas höher, in den tropischen Gebieten fiel der Anstieg dafür etwas geringer aus. Ob das schon auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist oder noch im Rahmen der natürlichen Schwankungen liegt, darüber streiten Klimaexperten noch. Klaus Hasselmann, Direktor des Hamburger MPIs, glaubt, im Muster der bisherigen Erwärmung mit „95prozentiger Wahrscheinlickeit“ bereits die Handschrift des Menschen entdeckt zu haben. Der US-Klimaforscher Richard Wilson bringt dagegen die mit einem Zyklus von etwa achtzig Jahren schwankende Intensität der Sonnenstrahlung ins Spiel. Doch er mußte eingestehen, daß sie höchsten einen Anteil von etwa dreißig Prozent an dem beobachteten Temperaturanstieg hat. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, daß ohne Reduzierung der Schadstoffemissionen eine weitere Temperaturerhöhung unvermeidlich ist.
Zwei Drittel der von Menschen produzierten Treibhausgase werden in den Industrienationen in die Atmosphäre geblasen. Vor allem das bei der Verbrennung der fossilen Energieträger Erdöl, Erdgas und Kohle entstehende Kohlendioxid heizt die Erde auf. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Schon Ende des vorherigen Jahrhunderts hatte der schwedische Chemiker Svante Arrhenius in einer wissenschaftlichen Arbeit die These aufgestellt, „daß eine Verdoppelung der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentration eine durchschnittliche weltweite Erwärmung um vier bis sechs Grad bewirken würde.“ Arrhenius Warnung blieb jedoch mehrere Jahrzehnte ohne Beachtung. Erst 75 Jahre später, Anfang der siebziger Jahre, setzte eine systematische Messung der Treibhausgase ein, und das Thema wurde auf die Agenda der internationalen Politik gesetzt.
Der Kohlendioxidgehalt der Erdatmosphäre ist seit Beginn der Industrialisierung um dreißig Prozent angestiegen. Gut drei Viertel des jährlichen menschlichen Kohlendioxideintrags ist auf die Energiegewinnung zurückzuführen. Ein Fünftel wird durch das fortschreitende Abholzen der Tropenwälder verursacht. Schätzungen zufolge gelangen bei Brandrodungen oder anderer Zersetzung der Pflanzenmasse etwa zwei Drittel des Kohlenstoffs als Kohlendioxid in die Atmosphäre.
Mit der Erwärmung der Erde droht nun ein Anstieg des Meeresspiegels. In den letzten hundert Jahren stiegen die Ozeane bereits um 10 bis 25 Zentimeter. Bei der Business-as-usual-Trendfortschreibung des IPCC wird der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 noch einmal um fast einen halben Meter ansteigen. Schon jetzt ist abzusehen, daß Küstenländer wie Bangladesch oder zahlreiche Inselstaaten den dann zu erwartenden Fluten hilflos ausgesetzt sein werden. Nicht vorhersagbar ist zudem, wie sich die Meeresströmungen verhalten werden. Eine Störung des warmen Golfstroms beispielsweise hätte katastrophale Folgen für Europa. Mit dem Ausfall der „europäischen Heizung“ würden hierzulande die Temperaturen um bis zu zehn Grad abfallen.
Wie empfindlich die Erde auf Temperaturveränderungen reagiert, zeigt die letzte Eiszeit, die Würm-Kaltzeit, die vor rund 11.000 Jahren zu Ende gegangen ist. In ihrem Tiefpunkt lag die Temperatur lediglich etwa fünf Grad unter den heutigen Werten. Trotzdem waren die Auswirkungen enorm: Kanada, Großbritannien und Skandinavien waren von einer kilometerdicken Eisschicht überzogen, der Meeresspiegel lag 135 Meter unter den heutigen Werten. Nach der Beschreibung des Meteorologen Professor Christian-Dietrich Schönwiese von der Uni Frankfurt war die südliche Nordsee verschwunden und „die Themse ein Nebenfluß des Rheins“.
Je dringlicher die Appelle werden, umgehend verbindliche Absprachen für eine Reduzierung der Treibhausgase festzulegen, um so lautstarker werden die Stimmen, die die düsteren Klimaszenarien der Forscher in Zweifel ziehen. Zum Teil finanziert von Ölkonzernen und der Autolobby versuchen Organisationen wie die einflußreiche Global Climate Coalition (GCC) oder die „Internationale Klimawandel Partnerschaft“, auf die Bremse zu treten und restriktive Vorgaben, die sich negativ auf den Umsatz ganzer Industriezweige auswirken könnten, zu verhindern. Sie verweisen auf die Unsicherheiten der Klimamodelle, die zahlreichen natürlichen Klimaveränderungen in der Vergangenheit oder auf die bisher noch nicht verstandenen komplizierten Rückkopplungsmechanismen der Klimafaktoren.
Eine Ahnung davon, wie kompliziert das Geflecht der sich gegenseitig beeinflussenden Klimafaktoren tatsächlich ist, zeigen Umweltschadstoffe, wie die aus alten Kraftwerken und Vulkanen ausgeblasenen Schwefelverbindungen. Lange Zeit konnten die Klimaforscher nur vermuten, welche Wirkung schwefelhaltige Gase, die zusammen mit flüssigen Teilchen wie zum Beispiel Nebeltröpfchen als Sulfat-Aerosole in die Atmosphäre aufsteigen, auf das Klima haben. Erst jetzt stellten die Meteorologen am Hamburger MPI neue Computersimulationen vor, die die abkühlende Wirkung der Aerosole berücksichtigen. Wie ein Schutzschild schirmen die Schwebteilchen die Erdoberfläche ab und verhindern, daß die Sonnenstrahlen bis zur Erde durchdringen können.
Die vor allem auf der nördlichen Erdhalbkugel freigesetzten Schwefelgase sind aber auch die Hauptursache des sauren Regens, der zu Waldschäden und dem Umkippen von Süßwasserseen führt. Maßnahmen zur Reduzierung des Schwefelausstoßes, wie sie in den vergangenen Jahren vor allem in den westlichen Industriestaaten durchgeführt worden sind, haben somit eine verstärkende Wirkung auf den Treibhauseffekt.
Erschwerend für die Vorausberechnungen ist zudem die regional sehr unterschiedliche Verteilung sowohl der Schwefelemissionen als auch der Wolkenbildung. Noch hat das Gitter von Meßpunkten, das die Klimaforscher über den Globus ziehen, eine Maschenweite von 250 Kilometern. Damit läßt sich die Verteilung der Wolken nur sehr schlecht modellieren.
Doch die Forscher sind sich sicher, auf dem richtigen Weg zu sein: Mit ihren Modellen haben sie versucht, El Niño vorherzusagen, eine starke Erwärmung des Wassers vor Perus Küste, die alle drei bis acht Jahre weltweit das Wetter durcheinanderbringt. Sie hatten einen Rekord-El-Niño für dieses Jahr vorhergesagt, und genauso ist es gekommen.s
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen