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Rußlands nächster Zar wird vom Volk gewählt

■ Eine Wiedereinführung der Monarchie könne nicht schaden, meinen nicht nur Adlige

„Mit wohldosierten Vollmachten könnte uns so ein Zar gar nicht schaden.“ Diese Ansicht findet immer mehr Anhänger in Rußland, insbesondere beliebt ist sie dort, wo Nikolaus II. mit seiner Familie zu Tode kam: im Ural. „Ein konstitutioneller Monarch wäre sicher auf seinen Beruf besser vorbereitet als unsere Politiker und machte uns wohl auch weniger Schande“, meint Ella Leonidowna, 50, Sozialarbeiterin bei der Jekaterinburger Stadtverwaltung.

Die Erfahrungen der britischen Königin mit ihren Nachkommen hält Ella Leonidowna für jene Ausnahme, die die Regel bestätigt: „Bei irgendeiner Generation muß die Natur schließlich in jeder Familie mal eine Atempause einlegen.“

Auch ehemalige Dissidenten und traditionell demokratische Politiker raten in letzter Zeit wenn nicht zu einer konstitutionellen Monarchie, so doch zu einem Sonderstatus für die Nachfahren des letzten Zaren. Die Adligen haben dieser Theorie zufolge durch die Generationen spezifisches diplomatisches Geschick geradezu genetisch angesammelt. Damit, so der christdemokratische Politiker Wiktor Aksjutschitz, könnten sie dem russischen Volk auf vielfältige Weise nützen.

Solcherlei Gedankengut gefällt der Großherzogin Leonida Georgiewna. Sie ist die Großmutter des freundlichen pausbäckigen Teenagers Georgi Wladimirowitsch, der heute von den meisten europäischen Adelshäusern als offizieller russischer Thronfolger anerkannt wird.

Über 30mal reiste Leonida Georgiewna seit 1991 aus ihrem Pariser Exil in die russische Heimat. Ihrem Ehemann, Wladimir Kerilowitsch, bereitete die russische Regierung nach seinem Tod 1992 in St. Petersburg ein Begräbnis mit imperialem Pomp in der Erbgruft der Romanows.

Zum 300jährigen Jubiläum der russischen Flotte wurde sogar ganz offiziell schon ein Frachter nach dem hoffnungsvollen kleinen Georgi benannt. Das Kerlchen könnte im übrigen auch Ansprüche auf den georgischen Thron geltend machen, denn Leonida Georgiewna ist immerhin mit dem georgischen Kaiserhaus der Bagratiden verwandt.

Den erwachsenen männlichen Erben aus anderen Seitenzweigen der Familie ist diese Art von Adel allerdings zu popelig. Und überhaupt mißfällt ihnen die ganze Weiberherrschaft um Georgi. Im Jahr 1992 beschlossen sie deshalb auf einem Familientreffen, daß die russische Imperatorenfamilie über kein Oberhaupt mehr verfüge. Der nächste russische Monarch müsse vom Volk gewählt werden.

Damit gossen diese „Legitimisten“ Wasser auf die Mühlen ihrer traditionellen Gegner, der „Volksmonachisten“. Die Anhänger dieser Richtung behaupten schon lange, es handele sich bei Leonida Georgiewna um die Tochter eines Tifliser Juden und Enkelin eines Rabbis. Zar dürfe aber nur ein „richtiger“ Russe werden.

Als „richtige“ Russen gelten dabei nur orthodoxe Christen. Und ein orthodoxer Christ ist als solcher wieder nur „richtig“, wenn er erstens an die Weltverschwörung der Freimaurer und Juden glaubt und zweitens an die Monarchie. Wer diesen Zirkel nachvollzogen hat, kommt zu dem Schluß, daß es in der größten Stadt des Landes, Moskau, allerhöchstens zwei- bis dreitausend „richtige“ Russen gibt.

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