: Alles eins, alles meins
Im Berliner Kulturforum zeigt die Ausstellung „Deep Storage“, was Künstler sammeln, speichern und archivieren. Ein Triumph des Analen nach dem Motto: „Sammeln beruhigt und versöhnt“. Doch zugleich mutiert die Welt zum Museum – und umgekehrt ■ Von Harald Fricke
Karsten Bott läßt nichts umkommen. Seine Installation „Von jedem eins“ besteht aus unzähligen Dingen, die nach einem leicht neurotischen Auswahlverfahren miteinander verknüpft sind. Neben ein paar Modezeitschriften liegen abgegriffene Wollmützen herum, in der Autoabteilung finden sich Keilriemen und Frostschutzmittel wieder, und zu den Pornomagazinen hat der Frankfurter Hausratsfetischist entsprechende Utensilien sortiert. An die tausend Gegenstände umfaßt das Ensemble, das über den Boden des Kulturforums in Berlin wuchert. Damit man sich überhaupt einen Eindruck von dem gesammelten Sperrmüll machen kann, wurde extra eine Holzbrücke gebaut, auf der man über das Schlachtfeld spazieren kann. Es ist der Triumph des analen Charakters über das Material: Alles eins, alles meins. Vermutlich mag Bott nicht einmal, was er sammelt, aber er mag sammeln.
Daß Botts obsessives Verhältnis zum Trash im Zentrum von „Deep Storage“ ausgestellt wird, hat etwas mit dem Scheitern der Museumsidee zu tun. Weil nichts verlorengehen soll, was irgendwie der Anschauung dienen könnte, kollabieren die öffentlichen Sammlungen unter dem Wust der in ihnen angehäuften Gegenstände. Schuld daran ist Aby Warburg: Seit der Kunsthistoriker aus Hamburg den Universalismus als kulturelles Phänomen gedeutet hat, scheint die Welt immer mehr zum Museum zu mutieren – und umgekehrt. Das merkt man auch der Vitrine an, in der nun Auszüge des „Mnemosyne Atlas“ von Warburg präsentiert werden. Unter dem Foto einer golfspielenden Frau ist das Titelblatt eines Kochbuchs für Fischgerichte festgepinnt, daneben eine stillende Mutter à la Arnold Böcklin. Am Ende bleibt offen, wer hier eigentlich wen studiert.
Was als identitätsstiftender Ort gedacht war, ist in konsequenter Form nur mehr ein mit dem Zwang zum Aufbewahren ausgestattetes Depot, das vor lauter Zeichen nicht zwischen Kunst und Leben trennen kann. Daß diese Konstruktion bedenklich ist, hatte zuletzt Boris Groys in einem Aufsatz über die „Logik der Sammlung“ formuliert: „Das moderne Museum bietet dadurch sowohl die Legitimation der herrschenden demokratischen politischen Ordnung wie auch die Möglichkeit ihrer Kritik – genauso wie früher die Kirche die hierarchische Ordnung der weltlichen Macht sowohl legitimiert wie auch in Frage gestellt hat.“ Während sich Groys aber vor einer Gesellschaft gruselt, die alle Konflikte ästhetisch wegmoderiert und ins Museum verbannt, haben die Ausstellungsmacher keine Probleme mit der Verkunstung der Wirklichkeit. „Sammeln beruhigt und versöhnt“, schreibt der Kurator Matthias Winzen im Katalog. Dafür hat die Siemens Kulturstiftung „Deep Storage“ finanziell unterstützt, schließlich spiegelt das Projekt auch die Firmenstrategie wider: „Jüngste Ergebnisse der Gehirnforschung und zur künstlichen Intelligenz, die Arbeit an der Entschlüsselung des genetischen Kodes, die digitale Revolution des Informationswesens überhaupt – all das bestimmt die Debatten um technologische und kulturelle Speicherkapazitäten.“
In diesem Meta-Marketing bleiben die Künstlerflausen doch ziemlich harmlos. Der eine reiht halt zerfressene Autoreifen auf (Raffael Rheinsberg), ein anderer führt seine alten Teenager-Klamotten in einer Dia-Show vor (Stephan Hoderlein); der nächste füllt Regale mit buntfarbigen Büchern (Peter Wüthrich), und Wilhelm Mundt gießt seinen Ateliermüll in Polyester ein. Man denkt an Piero Manzonis konservierte „Künstlerscheiße“, und prompt steht die besagte Dose in einer Vitrine. Aus Liebe zur Pop-art wurden Andy Warhols Nippes-Kollekte und Claes Oldenburgs „Mouse Museum“ eingeflogen, für die Theorie-Fraktion gibt es Marcel Broodthaers Museums-Schilder. Und zum Thema Erinnerung fällt mittlerweile sogar Christian Boltanski nur noch eine Liste mit Künstlernamen ein, die an der Biennale in Venedig beteiligt waren.
Offenbar hat sich auch die Raumgestaltung dem verwirrenden Fundus angepaßt. Das Kulturforum sieht ohnehin schon wie eine Sporthalle mit angegliederten Kabinetten aus. Jetzt wirkt die Architektur völlig zerfahren: Einige Skulpturen sind verloren auf riesigen Leerflächen abgestellt, und die minutiös verkokelte Modellruine, mit der Anne und Patrick Poirier 1976 den „Brand der großen Bibliothek“ nachgebaut haben, steht im letzten Winkel der Haupthalle. Man wundert sich, warum die Performance-Reste von Paul McCarthy unter der Treppe verstaut wurden oder stolpert auf ein neues über den Flohmarkt von Karsten Bott.
Interessantere Arbeiten, aus denen tatsächlich die komplizierte Beziehung zwischen Künstler, Libido und Material hervorgeht, fehlen. Weil Gerhard Richters „Atlas“ während der ersten Station von „Deep Storage“ im Münchner Haus der Kunst an die documenta ausgeliehen war, muß man sich nun mit Wänden voller Wasserturm-Serien der Bechers begnügen. Von Sophie Calle gibt es nicht ihre einfühlsame Fotorecherche über die Vorstellungswelt blinder Jugendlicher, sondern das entsetzlich spröde Berlin-Projekt „Die Entfernung“, das verschwundene SED-Monumente dokumentiert. Doch damit soll bloß belegt werden, „daß Erinnern ein Berliner Thema ist“, so der Kommentar des Leiters der Nationalgalerie, Peter- Klaus Schuster.
Vor lauter Assoziationen vergißt die Ausstellung allerdings eine recht naheliegende Frage: Läßt sich der künstlerische Umgang mit Waren am Ende noch von Ware unterscheiden? Immerhin ist Sammeln im Alltag eine Art unentwegter Aufschub des Konsums – oder eben dessen Beleg, so wie die leere Cola-Büchse, die zu DDR-Zeiten als Trophäe angeblich in jedem Wohnzimmer stand. Und die Kunst? Lediglich Louise Lawler beschäftigt sich in ihren Foto- Essays damit, wie Kunstwerke in Ware rückverwandelt werden. Dann hängen Flaggen von Jasper Johns zur Auktion wahllos neben Roy Lichtensteins Zeichnungen, bis sie jemand kauft und sammelt. Manchmal landen sie auch im Museum.
Bis 25. 1. 98, Kulturforum, Berlin. Katalog: 49 DM
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