: „Es gibt keine Sicherheit in Jerusalem“
Zwei Wochen nach dem Mord an einem jüdischen Studenten sind im arabischen Ostteil der Stadt noch mehr Militärs aufgezogen. Palästinenser und Israelis geben sich unversöhnlicher denn je. Der Kleinkrieg geht weiter ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen
Gleich hinter dem Damaskustor steht die erste israelische Patrouille. Drei schwerbewaffnete Grenzpolizisten in olivgrüner Uniform haben sich vor einem Obststand aufgebaut und betrachten mit Argwohn das geschäftige Treiben in der engen Gasse. Palästinensische Passanten drängeln vorbei, ohne die Soldaten auch nur eines Blickes zu würdigen. Jede Berührung wird tunlichst vermieden.
Oben auf dem alten Stadttor stehen zwei weitere Soldaten. Betont lässig lehnen sie an der Mauer, neben den Schießscharten der jahrhundertealten Befestigungsanlage, die die Altstadt umschließt. Im Suq, dreihundert Meter weiter, die nächste Patrouille: Ein Soldat und zwei Polizisten in blauer Uniform haben sich auf den Stufen des Österreichischen Hospizes niedergelassen. Einer der Polizisten schwingt einen Holzknüppel in der Hand, seinen Helm hat er auf den Stufen abgelegt. Ein junger Palästinenser muß seinen Ausweis vorzeigen.
Eine Touristengruppe mit blauweißen Kappen und der Aufschrift „Israel“ kommt die Via Dolorosa herunter. Dichtgedrängt folgen sie ihrem Reiseführer wie eine Herde verängstigter Schafe. Ein paar kurze Erklärungen, und weiter geht's. Keine drei Minuten sind vergangen, schon taucht die nächste israelische Patrouille auf. Ein kurzes Schwätzchen mit den Kollegen vor dem Österreichischen Hospiz, und die Soldaten ziehen weiter.
Seit dem Attentat auf zwei Jeschiva-Studenten stolpern Besucher und Einwohner im muslimischen Viertel der Altstadt förmlich über die Sicherheitskräfte. Knapp zwei Wochen ist es her, daß ein 26jähriger Religionsstudent hier erschossen, ein zweiter schwer verletzt wurde. Erstmals benutzten Attentäter in der Altstadt Maschinenpistolen. Bisher wurden Anschläge zumeist mit Messern ausgeführt.
Ein kleines steinernes Mahnmal in der Al-Dschabscha-Gasse erinnert an das Opfer des Anschlags. Auf dem Stein ein paar brennende Kerzen. Gabriel Hirschberg wuchs in Ungarn auf. Vor fünf Jahren wanderte er nach Israel ein. Drei Jahre lang diente er in der Golani- Brigade, einer Elite-Einheit der israelischen Armee. Erst vor einem Jahr hatte er sich der Talmudschule von Ateret Cohanim angeschlossen. Er sei ein stiller, aber überzeugter religiöser Nationalist gewesen, berichten seine Studienkollegen. Ateret Cohanim ist eine Siedlerorganisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, das muslimische Viertel der Jerusalemer Altstadt zu judaisieren. Von zahlreichen Gebäuden wehen schon israelische Fahnen. Demonstrativ künden sie von der erfolgreichen Übernahme der Häuser.
Der Sprecher des Orient-Hauses, der palästinensischen Vertretung in Jerusalem, Adnan Dschulani, bezweifelt allerdings, daß die Kaufverträge mit den tatsächlichen Besitzern oder Erben abgeschlossen wurden. „Viele Verträge sind gefälscht“, sagt er. „Aber die Gerichtsverfahren laufen meist ins Leere.“ An der Talmudschule von Ateret Cohanim in der Al-Ward- Straße prangt ein Messingschild. In Hebräisch und Englisch heißt es darauf: „Bitte helfen Sie uns, das jüdische Leben in der Altstadt aufzubauen.“
Der 50jährige Chaled hat einen Souvernirladen in direkter Nachbarschaft zur Talmudschule von Ateret Cohanim. „Es gibt keine Sicherheit in Jerusalem“, sagt er. „Die Juden machen dauernd Probleme. Ihren Müll laden sie vor meiner Haustür ab. Mehrmals haben sie mir irgendeine Flüssigkeit ins Geschäft gekippt.“ Und er verweist auf einen kleinen Spalt, der zwischen dem Betonboden und der unteren Türleiste verläuft. „Die Polizei unternimmt nichts, wenn wir uns beschweren.“
Vergeblich versucht Chaled ein paar Touristen, die vorbeikommen, zum Kauf zu animieren. Aber ans Aufgeben denkt er, der hier aufgewachsen und alt geworden ist, nicht. „Immer, wenn ein Jude erschossen wird, machen sie ein großes Geschrei“, sagt er. „Wenn ein Palästinenser getötet wird, interessiert das niemanden. Aber wir werden hierbleiben und am Ende den Fuß oben haben.“ 50 Meter weiter beginnt das jüdische Viertel der Altstadt, mit der Polizeikontrolle am Zugang zur Klagemauer.
Direkt gegenüber der Talmudschule ist ein Keramikladen. Der palästinensische Inhaber will seinen Namen nicht nennen. Über die Jeschiva-Studenten berichtet er nur Gutes. „Es sind sehr nette Leute. Ich komme gut mit ihnen aus“, sagt er. Auf die Frage, ob er die Übernahme palästinensischer Häuser gutheiße, winkt er nur kurz ab. Das Gespräch ist beendet.
An der nächsten Straßenecke stehen sich zwei Talmudschüler, Soldaten, Polizisten und Palästinenser direkt gegenüber. Von hier aus führt der Weg über den dunklen Suq al-Qattanin zum Tempelberg. Die Eisentore der Geschäfte sind geschlossen. Vier Palästinenser teilen sich eine Wasserpfeife. Der 32jährige Sami, der hier ein Studio für asiatische Kampfsportarten betreibt, gibt sich philosophisch: „Solange es keine Gerechtigkeit gibt, kann es auch keine Sicherheit geben“, sagt er. „Und jede Reaktion löst eine Gegenreaktion aus.“
Der 15jährige Elath trägt noch nicht die langen Schläfenlocken, die so typisch sind für die ultra-orthodoxen Jeschiva-Studenten in der Altstadt von Jerusalem. Mit Kipa, weißem Hemd und schwarzer Hose ist er relativ locker gekleidet. Doch von Toleranz kann bei ihm keine Rede sein. „Es gibt nur eine Lösung für unsere Sicherheit“, sagt er. „Wir müssen die Araber töten.“ Soldat Nemrod (19) fügt beschwichtigend hinzu: „Er meint nur die, die uns auch töten.“ Eli, ein 18jähriger Jeschiva- Student, ist zurückhaltender. „Ja, die vielen Soldaten und Polizisten und die neue Polizeistation sind eine Hilfe. Aber sicher fühlen wir uns nicht. Wir gehen nur noch in Gruppen zu viert oder fünft durch das Viertel.“
Neben allerlei anderer Prominenz hat auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag vor einer Woche den Tatort inspiziert. „Drei Stunden mußten wir draußen warten“, erzählt der 27jährige Mai, der seit sieben Jahren in einem Souvernirladen in der Nähe des Österreichischen Hospizes als Verkäufer arbeitet. Die meisten Geschäfte im muslimischen Viertel mußten ihre Pforten schließen – aus Sicherheitsgründen. Auch dem normalen Publikum blieb der Zugang verwehrt. Netanjahu versicherte gegenüber Mitgliedern von Ateret Cohanim, die jüdische Besiedlung der Altstadt zu intensivieren. Zehn weitere Häuser sollen im kommenden Jahr von jüdischen Familien übernommen werden. Neue Polizeistationen, mehr Polizisten und Soldaten versprach der Ministerpräsident obendrein.
„Die Tatsache, daß Netanjahu auf eigene Initiative hierhin gekommen ist und unseren Anliegen angehört hat, ist ein riesiger Schritt nach vorn“, sagt Jossi Baumol, Sprecher und Direktor von Ateret Cohanim. „Wir werden unsere Souveränität über alle Viertel Jerusalems erzwingen“, hatte Netanjahu erklärt, „und die Ansiedlung von Juden überall in der Stadt erleichtern.“ Doch Stadtplaner Jisrael Kimche hält diese Vision für unrealistisch. „Sie mögen ja den Willen haben, mehr Juden im muslimischen Viertel unterzubringen, aber es gibt einfach keinen Platz für sie. Und bauen kann man dort auch nicht mehr.“
Der höchste politische Repräsentant der Palästinenser in der Stadt, Faisal Husseini, nennt Netanjahus Versprechungen „sehr gefährlich“. „Er gießt Öl ins Feuer“, so Husseini. „Das wird zu weiterem Blutvergießen führen.“ Souvenirverkäufer Mai reagiert weniger diplomatisch: „Wenn sie die Altstadt übernehmen wollen, dann ist das das Ende ihres Lebens.“ Trotz dieser bedrohlichen Töne gibt sich Ateret-Cohanim- Sprecher Baumol offiziell höchst versöhnlich: „Wir haben die ernste Absicht, mit unseren arabischen Nachbarn in Koexistenz zu leben“, sagt er. Doch die parlamentarischen Vertreter des national-religiösen Lagers, dem auch Baumol sich zugehörig fühlt, nehmen kein Blatt vor den Mund. Der Führer der rechtsradikalen Moledet-Partei, Rehavam Zeevi, sagte nach dem Anschlag: „Unsere Antwort muß heißen: massive jüdische Bautätigkeit überall in Ost-Jerusalem.“
Längst haben aber auch die Palästinenser auf die drohende Übernahme des muslimischen Viertels reagiert. An allen Ecken und Enden werden Häuser renoviert, ziehen neue Einwohner ein oder kehren alte zurück. Kampflos wollen sie ihr Viertel nicht aufgeben. Sechs israelische Soldaten und drei Polizisten sitzen vor der neuen Polizeistation in der Al-Ward-Gasse. Ihre massive Präsenz ist ein untrüglicher Hinweis auf die Auseinandersetzungen, die in den kommenden Wochen und Monaten in der Altstadt zu erwarten sind. Dann aber werden die Touristen noch eiliger durch das muslimische Viertel hasten als derzeit oder völlig ausbleiben. Der Kleinkrieg um Jerusalem wird weitergehen, und er wird neue Opfer fordern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen