■ Beim Buß- und Bettag wurde die evangelische Kirche kämpferisch
: Mehr APO als Apostel

„Die Obrigkeit, auf die wir Jahrhunderte lang gesetzt haben, hat uns im Stich gelassen.“ So Bischof Hans Christian Knuth, einer der führenden Köpfe beim Volksentscheid in Schleswig-Holstein um die Wiedereinführung des Buß- und Bettags als Feiertag. Der Volksentscheid ging für die Kirche verloren, der Satz des Bischofs wird das Verhältnis zwischen Kirche und Staat noch lange bestimmen: In der Diskussion um den Buß- und Bettag fühlen sich die organisierten Protestanten verraten von ihrer höchsten Schutzmacht neben Gottes Sohn – Vater Staat.

Zu Beginn der Debatte, wie die Pflegeversicherung zu finanzieren sei, standen christliche Feiertage unter allerhöchstem Patronat, per Kanzlerwort waren sie für sakrosankt erklärt worden. Eine Streichung zur Finanzierung des Arbeitgeberanteils an der Pflegeversicherung komme nicht in Frage, hatte Kohl versichert. „Daran haben wir geglaubt“, sagt noch heute Bischof Knuth. Und weil enttäuschter Glaube die grimmigsten Gegner gebiert, haben die Protestanten die Detailfrage des Buß- und Bettages zum Grundsatzkonflikt erhoben. Kirchliche Repräsentanten dürften nicht länger warten, bis sie gefragt werden, sondern müßten offensiv ihre Positionen auf dem Markt der Meinungen vertreten, heißt es bei der bayerischen Kirchenleitung. Bischof Knuths Parole erinnert mehr an die APO als an die Apostel: „Nichts ist mehr selbstverständlich – wir müssen kämpfen!“

Der Abschied von der Nähe zur Macht fällt der Kirche nicht leicht, zumal sie auf dem „Markt der Meinungen“ heftiger Konkurrenz ausgesetzt ist. So mußte sie beim Volksentscheid überrascht feststellen, daß die Gewerkschaften die Rückkehr zum Buß- und Bettag ablehnten, weil sie im Gegenzug höhere Abgaben für Arbeitnehmer befürchteten. Im Streit, wer der bessere Sachwalter der Interessen der „Menschen auf der Straße“ sei, befand sich die Kirche eingekeilt zwischen Politik und Tarifparteien. Die Konfrontationen der Zukunft werden im Zweifel eher härter werden, weitere Konflikte mit Gewerkschaften und Arbeitgebern stehen ins Haus. Die Kirchen sehen die gesamte „christliche Feiertagskultur“ in Gefahr, der Sonntag werde verschlissen durch neue Ladenschlußzeiten und die Forderung nach längeren Maschinenlaufzeiten. Je offensiver die organisierten Protestanten als Lobbyisten in eigener Sache auftreten, desto mehr müssen sie überdies fürchten, den religiösen Ehrenschutz zu verlieren, der sie in der öffentlichen Auseinandersetzung bisher davor bewahrt hat, mit allzuviel Schmutz beworfen zu werden. Patrik Schwarz