: Ein Rührstück des Befreiungskampfes
■ Albertina Sisulu, die alte Dame des ANC, kann sich vor Südafrikas Wahrheitskommission an frühere Aussagen nicht mehr erinnern
Johannesburg (taz) – Sie gilt als eine Galionsfigur des Befreiungskampfes, als aufrichtig und integer. Außerdem ist sie – ein offenes Geheimnis – eine Erzfeindin von Winnie Madikizela-Mandela. Doch der mit Spannung erwartete Auftritt der großen alten Dame des ANC, Albertina Sisulu, vor Südafrikas Wahrheitskommission, ließ erhebliche Zweifel an der Volksmeinung aufkommen.
Die Ehefrau von Walter Sisulu, einem engen Freund und Weggefährten Nelson Mandelas, widersprach gestern allen früheren Aussagen und entlastete Winnie Mandela soweit überhaupt möglich. „Ma Sisulu“, wie sie respektvoll genannt wird, konnte sich plötzlich an nichts mehr erinnern. Statt dessen gab sie ein Rührstück des Befreiungskampfes und beschwor unter Tränen, welch unmenschlichen Schikanen sie während der Apartheidzeit ausgesetzt war.
Nur auf vielfache Nachfragen war Sisulu bereit einzuräumen, daß Winnies Leibgarde, der sogenannte „Mandela United Football Club“, Ende der 80er Jahre ein Terrorregime in Soweto ausübte. Winnie Mandela wollte sie damit jedoch nicht in Verbindung bringen. Vor allem für die Familie von Winnies ermordetem Leibarzt, Dr. Abu-Baker Asvat, war ihre Aussage ein schwerer Schlag.
Asvat war am 27. Januar 1989 in seiner Praxis von zwei jungen Männern erschossen worden, ein Raubmord angeblich. Daß einer der beiden in den polizeilichen Vernehmungen angegeben hatte, von Winnie Mandela zu dem Mord gedungen worden zu sein, wurde vor Gericht eigenartigerweise nie verwendet. Die Familie von Asvat bezweifelt bis heute die offizielle Version – gestützt durch die Täter, die jetzt die Anschuldigungen von damals wiederholen.
Albertina Sisulu war in jener Zeit Asvats Sprechstundenhilfe und am Tag der Tat im Dienst. Zwar konnte sie den Mord einigermaßen genau rekonstruieren, doch bei allen anderen Einzelheiten ließ sie ihr Gedächtnis im Stich – und das, obwohl sie kürzlich in zahllosen Interviews das Gegenteil unter Beweis gestellt hatte.
Bis heute besteht der Verdacht, daß Asvat aus dem Weg geräumt wurde, weil er zuviel wußte. Winnie Mandela verdächtigte damals den methodistischen Pfarrer Paul Verryn, schwarze Jugendliche zu mißbrauchen. Asvat weigerte sich zu bescheinigen, daß Mitglieder ihrer Leibgarde Spuren sexueller Mißhandlung aufwiesen.
Ein angebliches Opfer Verryns war der bis zur vergangenen Woche verschwundene Katiza Cebekhulu. Ende Dezember 1988 wurde er in Begleitung von Winnie Mandela von Asvat untersucht – ohne Ergebnis. Albertina Sisulu, die noch vor wenigen Wochen angegeben hatte, selbst die Patientenkarte ausgefüllt zu haben, bezeugte gestern, „Winnie Mandela und Cebekhulu nie in der Praxis gesehen“ zu haben.
Auch daß Asvat wenige Tage später in Winnie Mandelas Haus gewesen sein soll, will Sisulu nicht gewußt haben. Mehrere Zeugen hatten bisher ausgesagt, daß es zum Streit zwischen Asvat und Winnie Mandela gekommen sei, weil sie seinem Rat nicht folgen wollte, den entführten und schwerverletzten Stompie Seipei ins Krankenhaus zu bringen. Der 14jährige starb kurz darauf. Kordula Doerfler
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