: Mobutu hinterließ nur leere Kassen
■ Nach drei Jahrzehnten der Diktatur Mobutus ist der Kongo wirtschaftlich vollkommen ruiniert. In Brüssel wird ab heute beraten, wie der Demokratischen Republik Kongo beim Wiederaufbau geholfen werden kann. Weil das Ausland die finanziellen Zuwendungen aber von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig macht, wird die Regierung Kabila am Ende wahrscheinlich gar keinen Pfennig sehen
Das Land ist völlig ruiniert. Es gibt keine Straßen, keine Brücken, keine Krankenhäuser oder Schulen.“ So faßte Bizima Karaha, Außenminister der Demokratischen Republik Kongo, im Oktober vor der UNO-Vollversammlung die Situation seines Landes nach über 30 Jahren Mobutu-Diktatur zusammen. Seine Folgerung: Die Auslandsschulden des ehemaligen Zaire, die von der heutigen Regierung auf 14 Milliarden Dollar geschätzt werden, müßten „ganz einfach erlassen“ werden. Wenn ab heute Vertreter der kongolesischen Regierung in Brüssel mit Repräsentanten von etwa 30 Geberländern und internationalen Organisationen wie Weltbank oder Internationalem Währungsfonds zusammentreffen, wird von Schuldenstreichung allerdings keine Rede sein. Die erste große internationale Konferenz, auf der Maßnahmen zum Wiederaufbau des ruinierten Kongo zur Debatte stehen, könnte sogar zu Ende gehen, ohne daß dem afrikanischen Land überhaupt eine feste Hilfszusage gemacht worden ist.
„Wir sehen das Treffen als Beginn eines Prozesses“, sagte kürzlich Nils Tcheyan, in der Weltbank zuständig für die Demokratische Republik Kongo. „Ein Ergebnis des Treffens wäre, einen Prozeß des Dialogs für die wirtschaftliche Genesung in Gang zu setzen.“ Daß ein solcher Dialog erst jetzt beginnt, mehr als ein halbes Jahr nach dem Sturz Mobutus, hat viele Gründe. Die Außenwelt beurteilt die ersten Schritte der Kabila-Regierung – unter anderem das Verbot parteipolitischer Aktivitäten, die Einschränkung von Bürgerrechten und die Verschleierung möglicher Massaker während des Bürgerkrieges – mit großer Skepsis.
Die EU, die USA und Japan haben Hilfszusagen für den Kongo von Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der UN-Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen während des Krieges abhängig gemacht. Im Juli stellte die Weltbank ihre Kriterien für eine Zusammenarbeit mit dem neuen Kongo auf: Respekt für Menschenrechte und Demokratie, die Etablierung eines Rechtsstaates und die Präsentation eines Schuldenrückzahlungsplans seitens der Regierung. Der Kongo wird damit zu einem Labor für neue Formen der Entwicklungszusammenarbeit, in der auch nach eigenem Verständnis „unpolitische“ Organisationen wie der Internationale Währungsfonds Geldzusagen an politische Bedingungen knüpfen. Nach dem Geschmack der neuen Machthaber in Kinshasa ist das nicht. Aber allein kann Kongos Regierung den Wiederaufbau nicht finanzieren.
Als Kabila Kinshasa einnahm, war die Staatskasse leer – das fliehende Mobutu-Regime hatte alles ausgegeben oder mitgenommen.
Die neue Regierung hat zwar die Staatseinnahmen gesteigert, aber sie sind immer noch lächerlich niedrig: An Steuergeldern fließen nach Angaben der Zentralbank 8,5 Millionen Dollar pro Monat in die Staatskasse, gegenüber 5,4 Millionen 1996, und die Zolleinnahmen wuchsen im Monatsschnitt von 8,6 auf 16,6 Millionen Dollar. Für jede Maßnahme des Wiederaufbaus zahlen die Bürger des Kongo bisher selber. Krankenhäuser und Schulen sind selbstverständlich gebührenpflichtig. Illegale Goldund Diamantenschürfer sollen nach Vorstellungen der Behörden und der Konzerne besteuert und damit legalisiert werden. Den Straßenbau, den die Regierung zur Priorität erklärt hat, finanziert sie über neue Straßennutzungsgebühren: zwischen zwei und 25 Dollar beispielsweise auf der Hauptstraße von Kinshasa Richtung Atlantischer Ozean, für einfache Bürger mit Monatsgehältern von um die 10 Dollar ein Vermögen.
Die verarmte Bevölkerung des Kongo kann nach Jahrzehnten der Ausplünderung den Wiederaufbau nicht alleine schaffen.
André Kapanga, Kongos Botschafter bei den Vereinten Nationen, hat erklärt, die Regierung setze sich zum Ziel, von den allernötigsten Ausgaben zur Wiederherstellung der Infrastruktur 60 Prozent selber zu finanzieren und den Rest im Ausland zu suchen. Anstatt auf regierungsunabhängige Organisationen, denen der Staat während der Mobutu-Ära alle sozialen Aufgaben überließ, setzt die Regierung Kabila lieber auf kommerzielle Investoren, vor allem im Bergbau- und Kommunikationsbereich.
Zum Beispiel soll Microsoft den Verwaltungsapparat computerisieren. Der US-Konzern Bechtel hat im Auftrag der Regierung einen Entwicklungsplan für den Kongo erstellt: Das am 12.November abgelieferte Dokument schätzt den Wert der Rohstoffe des Kongo auf 157 Milliarden Dollar und empfiehlt marktwirtschaftliche Reformen, um die Ausbeutung der Rohstoffe durch ausländische Konzerne und einheimische Subunternehmer zu garantieren.
Dem Vernehmen nach ist die Regierung Kabila damit nicht besonders glücklich, weil sie eine stärkere Rolle des Staates favorisiert. Bisher schafft die Regierung es allerdings kaum, die Gehälter ihrer Beamten und Soldaten zu zahlen, und regelmäßig brechen gegen Monatsende Unruhen in der Armee aus.
Wenn die Brüsseler Geberkonferenz ohne konkrete Entscheidungen auseinandergeht und Geldzusagen auf 1998 verschiebt, dann droht dem Kongo eine ausgewachsene politische Krise.
Nach Jahrzehnten von Gewaltherrschaft und massivster Korruption hätten die 42 Millionen Kongolesen eigentlich etwas Besseres verdient. Dominic Johnson
Wir müssen erst einmal das Land wiederaufbauen“, sagt Bruno Luaula. Er ist Berater von Präsident Laurent-Désiré Kabila in Sachen Infrastruktur und kommt eigentlich aus Deutschland: Der Kongolese aus der Provinz Kasai floh vor der Mobutu-Diktator und lebte jahrelang im Berliner Exil.
Im März 1997 kehrte er, von Kabilas Rebellion begeistert, in seine Heimat zurück. Heute überwacht und koordiniert er die Straßenbau- und Kanalarbeiten in Kinshasa.
Zu tun gibt es viel in der Fünf- Millionen-Stadt Kinshasa. Die ungeklärten Abwasser und Fäkalien laufen in den meisten Stadtvierteln oberirdisch, in kleinen Gräben in der Mitte der Straße. Die Schlaglöcher in den Straßen werden jedes Jahr tiefer, die Straßen selber sind schon zu Beginn der Regenzeit von tiefen Furchen durchzogen. Dies sind die Stadtviertel, wo kleine Verkaufsstände die Straßen säumen, Frauen und Kinder abends mit funzligen Kerzen oder kleinen Petroleumlampen vor kleinen Tischen sitzen und dahinter einstöckige Häuser hinter zwei Meter hohen Betonmauern hochragen – kein Luxus, aber wenigstens auch keine Slums.
Luaula logiert in einer Suite im Hotel Memling, eine der zwei einzigen komfortablen Absteigen Kinshasas und so ziemlich der teuerste Wohnort der Stadt. Ein Zimmer kostet 140 Dollar (etwa 250 DM) die Nacht. Das wäre ein Luxusmonatsverdienst für die große Mehrheit der Kongolesen.
In solchen Hotels leben kongolesische Regierungsmitglieder, bis für sie ein Haus gefunden ist – zumeist eins, das man der alten Elite abgenommen hat. Das Beschlagnahmen von Häusern ist in Kinshasa alltäglich. Und begründet wird es damit, daß die Häuser früher Staatseigentum gewesen seien und daß Mobutu sie widerrechtlich als Bestechung verschenkt habe.
Der Präsidentenberater Bruno Luaula ist seit fünf Monaten in seinem Amt. Aber er ist selber vor Ort, scheint kaum eine Entscheidung zu delegieren. Wie ein Bauleiter schaut er zu, während Abwasserkanäle freigelegt werden, die längst von Gestrüpp und Gras zugewachsen waren.
Dieses Arbeitsprinzip scheint zugleich das Herrschaftscharakteristikum der Kabila-Mannschaft zu sein – ein hochgradiger Zentralismus, in dem der Chef alle Entscheidungen fällt und seine Untergebenen ständig wie auf Abruf bereitstehen. Luaula hat, nachdem zwei Verabredungen bereits geplatzt sind, nicht zufällig an einem Freitag Zeit: An diesem Tag trifft sich in Kinshasa der Ministerrat, da wird der Infrastrukturberater einmal nicht gebraucht.
Das Kontrollbedürfnis verdeutlicht einerseits das Mißtrauen der neuen Machthaber gegenüber ihren Landsleuten, lähmt aber andererseits das Riesenreich Kongo, das so groß ist wie zwei Drittel Westeuropas. „Wir arbeiten natürlich mit der Verwaltung zusammen, doch so einfach ist das nicht“, erklärt Luaula. „Die sind nicht zuverlässig.“ Lieber macht man alles selber. Doch scheint die Regierung langsam zu beginnen, geschaßte Leute mit Fachwissen wieder in die Verwaltung zurückzuholen.
Ohne die alte Elite funktionierte Kabilas Administration in den ersten Monaten noch weniger als zu Mobutus Zeiten. Für Fachleute aus dem alten Regime ist die Regierung Kabila heute viel offener als etwa für eine Öffnung auf der politischen Ebene. Auch Luaula sagt, daß der Wiederaufbau Vorrang vor demokratischen Reformen haben müsse: „Die internationale Gemeinschaft verlangt zuviel von uns. Die Straßen haben absolute Priorität.“
Bei Kenntnis des Landes kann man dem kaum widersprechen. Über 90 Prozent der Straßen des Kongo sind kaum befahrbar, Überlandreisen auf dem Landweg können Monate dauern, und die meisten Regionen sind von der Hauptstadt aus nur per Flugzeug zu erreichen.
Doch Unternehmer und Investoren, die den Wiederaufbau finanzieren sollen oder die Relikte formeller Wirtschaft im Lande noch am Leben halten sollten, setzen die Priorität anderswo: „Ohne Rechtssicherheit und Demokratie hat die Wirtschaft keine Chance“, sagt José Endudu, steinreicher Chef des Unternehmerverbandes und einst ein enger Genosse Mobutus. Er ist gegen Kabilas Modell einer Entwicklungsdiktatur: „Wir haben von der Regierung fundamentale Änderungen erwartet, doch die Leute sind Theoretiker und kennen nicht die tatsächlichen Probleme.“
Zwar zeigt das Stadtbild von Kinshasa erste Erfolge von Luaulas Arbeit: An der Hauptstraße des Stadtzentrums, dem „Boulevard du 30 juin“, befreien Arbeitstrupps den begrünten Mittelstreifen von Unkraut. Die Seitenlinien des Boulevards werden bepinselt. Bislang aber merkt man das nur an den großen Straßen. Ganz untätig war schließlich Mobutus letzte Friedensregierung, das von 1994 bis Anfang 1997 amtierende Kabinett von Premierminister Kengo wa Dondo, auch nicht geblieben. Sie ließ einige Spuren der Plünderungen durch Soldaten reparieren, die Kinshasa im September 1991 und im Januar 1993 erlitten hatte. Ende des Jahres 1995 wurde erstmals wieder die Straßenbeleuchtung auf den größten Boulevards angeschaltet. Nach vier Jahren der Dunkelheit auf der Mehrzahl der Straßen war dies vor allem für die Autofahrer ein Großereignis. Wenigstens die Schlaglöcher konnte man seitdem besser sehen.
Vielleicht schafft es die Regierung Kabila ja, auch die Schlaglöcher zu entfernen. Daniel Stroux, Kinshasa
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