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Findet die Stellen!

■ Ein Bücherauto bringt Goethes Werke von der Stabi in die Bibliothek Unter den Linden. Dabei bleibt es auch, da es für die beiden Staatsbibliotheken eine Doppellösung geben wird

„Findet die Stellen in einem Buch, mit denen ihr etwas anfangen könnt“, erklärte der Philosoph Gilles Deleuze seinen Jüngern. In der wiedervereinigten Staatsbibliothek mit ihren Standorten am Potsdamer Platz und Unter den Linden geht diesem neuen Lesen erst einmal neues Leihen voraus. Und so wird es auch in Zukunft bleiben: Findet die Stellen in den Bibliotheken, mit denen ihr etwas anfangen könnt.

Nach 1990 wurde die Ost-Bibliothek innerhalb der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit der Westberliner Stabi am Potsdamer Platz zusammengefaßt. Bald entbrannte ein Häuserkampf: zentraler Bibliotheksneubau oder zwei Standorte?

Eine Zentrale wäre wohl die Ideallösung – doch ein Neubau sei nicht zu bezahlen, befand der Bundesrechnungshof, und der hat ein gewichtiges Wort mitzureden, da die Stabi zu 75 Prozent aus Bundesmitteln finanziert wird. Bonn wurde noch deutlicher: Bevor nicht ein Gutachten von unabhängigen Fachleuten zur Berliner Bibliothekslage erstellt würde, werde man über Geld nicht mehr reden.

Jetzt liegt dieses Gutachten und klopft den Doppel-Whopper fest. Die Zwei-Häuser-Lösung wird vorgeschlagen, allerdings soll umgeräumt und neu sortiert werden. Und zwar möglichst schnell, in den nächsten zehn Jahren will man mit diesen organisatorischen Arbeiten durch sein. Wo findet man also künftig was? Eigentlich soll es ganz einfach werden. Alle Bücher, die zwischen 1800 und 1955 erschienen sind, können in beiden Häusern benutzt, nur nicht ausgeliehen werden. Wer am Potsdamer Platz an einem Goethe-Erstdruck schnuppern will, der in einem der Magazintürme Unter den Linden steckt, füllt einfach seinen Leihschein aus und wartet auf das Bücherauto: Ein Bringdienst, der auch jetzt schon in Betrieb ist, sorgt dafür, daß jedes Buch überall gelesen werden kann. Wer lieber Deleuze liest oder irgendein anderes Buch, das nach 1955 erschienen ist, kann die Literatur an beiden Standorten entleihen und mitnehmen.

Der Benutzer muß jedoch auch weiterhin Eigenmobilität nachweisen. Denn nicht jedes Buch kommt, wenn man es ruft. Manche sind dafür zu alt, zum Beispiel jene, die vor 1800 erschienen sind. Die Gutachter schlagen vor, hinter den historistischen Fassaden des Ost- Gebäudes einen historischen Forschungsschwerpunkt anzulegen: Hier will man die wuchtigen Altbestände beider Bibliotheken versammeln, neue Arbeitsplätze anlegen, möglicherweise sogar Stipendienprogramme ins Leben rufen.

Verschiedene Sammlungsschwerpunkte werden verlegt. So ziehen zum Beispiel die Handschriften vom Potsdamer Platz in den Osten, und die Gutachter empfehlen, die geteilte Kartenabteilung Unter den Linden wiederzuvereinigen. Ein Problem: Fachzeitschriften sind zu Zeit kaum noch doppelt vorhanden. „Wir haben das nach der Zusammenlegung der Bibliotheken sehr schnell aus Kostengründen reduziert“, erklärt der Generaldirektor der vereinigten Stabi, Antonius Jammers. „Nun wird im Gutachten zu Recht darauf verwiesen, daß wir möglicherweise zuweit gegangen sind.“

Umgebaut werden soll auch: Unter den Linden soll ein neuer, zentraler Lesesaal entstehen, und am Potsdamer Platz soll es ebenfalls Veränderungen geben. Dazu werden neue Magazinräume am Stadtrand angemietet. Diese Umbauten kosten Geld, ganz abgesehen von den Umstrukturierungsaktionen. Darüber ist aber noch nicht entschieden worden.

Am stärksten wird wohl die Sanierung des Ost-Gebäudes zu Buche schlagen. Die Eichenpfähle, auf denen das Gebäude steht, bieten nach der Grundwasserabsenkung kaum noch Halt: Das Haus beginnt zu bröckeln. In den Magazinen ist es zu feucht, und auch der Brandschutz ist ungenügend. Auf 780 Millionen Mark werden die Sanierungskosten geschätzt. Antonius Jammers ist stolz auf das traditionsreiche Haus, hervorgegangen aus der kurfürstlichen Bibliothek, die im siebzehnten Jahrhundert gegründet wurde. Das Gebäude selbst entstand Anfang dieses Jahrhunderts, mit schmucker Fassade und neobarock verplätschertem Innenhof.

Jammers ist zuversichtlich, daß die Gelder für die Rettung des Gebäudes – „Sanierung“ wäre ein Euphemismus – bereitgestellt werden und bis zum Jahr 2016 die Baumaßnahmen abgeschlossen sind. Schließlich sei der Bücherpalast ein wichtiger Bestandteil der Kulturnation: „Wenn Regierung und Parlament erst nach Berlin gezogen sind, werden die ja in die Nachbarschaft dieses Hauses ziehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man es dann zerfallen lassen würde.“ Kolja Mensing

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