Analyse: Not mit dem Opfer
■ Zwanzig Mark sollen Versicherte zugunsten der Krankenhäuser zahlen
Millionen Versicherte bekommen in diesen Tagen einen Weihnachtsbrief ihrer Krankenversicherung ins Haus. Sie werden aufgefordert, zwanzig Mark für die Instandhaltung der Krankenhäsuer zu zahlen. Fast flehend zunächst der Ton: Kommen Sie dieser Verpflichtung zu zahlen bitte unbedingt nach. Doch zum Schluß des Briefes die Drohung: Falls nicht, werde es „ganz teuer“ werden. Rund eine Milliarde Mark wollen die Kassen pro Jahr auf diese Tour eintreiben, drei Jahre lang. Nur in Bayern zahlt die Landesregierung.
Sicher, der Preis ist nicht hoch, den es zu zahlen gilt. Und um eine vernüftige, gute Sache geht es auch: Den Krankenhäusern fehlt das Geld für tropfende Wasserhähne und undichte Dächer. Doch die Entstehungsgeschichte ist abstrus. Eigentlich werden Krankenhäuser von den Ländern finanziert. Doch hatte das Bundesverwaltungsgericht vor vier Jahren festgestellt, daß für die Instandhaltung der Kliniken über die Länder keine Rechtsgrundlage existiert. Die Länder stellten darauf hin ihre Zahlungen ein – bis auf Bayern eben. Mittlerweile haben sich 3,5 Milliarden Mark an Instandhaltungszahlungen aufgestaut. Zweimal sollte der Gesetzesfehler korrigiert werden, doch die Länder legten sich im Bundesrat quer. Worauf die Bundesregierung beschloß, die Fallpauschalen und Pflegesätze um 1,1 Prozent anzuheben. Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen werden mit etwa einer Milliarde im Jahr belastet — und zahlen sollen die Patienten.
Nicht alle Versicherungen langen zu. Die Privaten verschonen ihre Mitglieder von dem „Not-Opfer“. Zur Kasse werden nur die gesetzlich Versicherten außerhalb Bayerns gebeten. Sie sollen blechen, weil Politikern der Versuch, der Lage Herr zu werden, wieder einmal daneben ging.
Dem Patienten bleiben zwei Möglichkeiten. Entweder ist er arm genug, die Härtefallregelung für sich beantragen zu können, oder er zahlt einfach nicht. Warum auch? Schließlich führt er Steuern ab, die zum Teil in die Länderhaushalte gehen. Die Kassen dürfen erst bei einem Außenstand von 50 Mark ein Inkassoverfahren einleiten.
Der kühlkalulierte Boykott scheint das Mittel der Wahl. Jeder zweite Anrufer beschwert sich bei den Kassen, daß die Lasten einseitig aufgeschultert werden: Die Arbeitgeber werden vom Not-Opfer verschont. Der Bundesgesundheitsminister teilt mit, an den zwanzig Mark seien die Länder schuld; die wiederum sagen, sie seien vom Bund gezwungen worden; die Krankenkassen geben beiden die Schuld.
Der Beitragszahler, der sich verweigert, erfährt zaghafte Rückendeckung. Die Bündnisgrünen signalisieren Zustimmung zum Zahlungsboykott, der Deutsche Gewerkschaftsbund überlegt, eine Verfassungsklage einzureichen. Annette Rogalla
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen