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Preiswerter Kaffee als Lockmittel

■ Die Regionalliga-Amateure des HSV kämpfen gegen den Abstieg und schauen doch nach oben

Ein Hinweisschild existiert nicht. So muß man sich anstrengen, die Spielstätte der HSV-Amateure in der Stellinger Kleingartenidylle unweit von Hagenbecks Tierpark zu entdecken. Viele Zuschauer machen sich nicht die Mühe. Wie auch bei den beiden anderen Hamburger Regionalligisten, dem VfL 93 und dem 1. SC Norderstedt, kommen selten mehr als 300 Zuschauer zu den Heimspielen. Und die Fans des HSV-Drittliga-Teams wissen ohnehin: Wenn irgendwo eine Würstchenbude durchs Grün schimmert, sind's zum Kassenhäuschen nur noch fünf Meter.

Anderenorts, etwa in Offenbach oder bei Hannover 96, lockt ein Spiel der dritthöchsten Spielklasse schon einmal über 20.000 Besucher an. Der typische hamburgische Regionalligafan scheint jedoch gerade das seltsam anachronistisch anmutende familiäre Ambiente fernab der ran-Datenbanken zu schätzen. Daß der Kaffee beim HSV heißer und zudem 50 Pfennig billiger ist als beim VfL 93, kann schon ein gewichtiges Argument für einen Besuch sein.

Auch Ralf Schehr, dem Trainer der HSV-Amateure, wird solch bodenständige Hinwendung zuteil. Nach Meinung der versammelten Rentnerschar ist „der Ralf ein Guter“. Seine junge Mannschaft – Durchschnittsalter 23 Jahre – spielt derzeit zwar gegen den Abstieg. Dafür wird aber mutiger Offensivfußball geboten. Das gefällt auch dem Bundesliga-Cheftrainer Frank Pagelsdorf. Der setzte diese Saison bereits den fünften Spieler aus Schehrs Kader bei einem Erstligaspiel ein.

So paradox es klingen mag: Für Schehr ist es eine willkommene Motivationsspritze, daß Pagelsdorf an der Hagenbeckstraße Stammgast ist – um womöglich den Regionalligakader weiter zu schwächen. „Meine Aufgabe ist es, junge Talente an die Profis heranzuführen“, umschreibt der 44jährige seine Tätigkeit. Die Aussicht auf einen Stammplatz bei den Amateuren genüge nur den wenigsten: „Die Jungs wollen hoch.“Die Regionalliga als Schaubühne für den lukrativen Profibetrieb.

Wenn Schehr betont, die Zusammenarbeit mit der Profiabteilung funktioniere „ausgezeichnet“, schiebt er sofort nach, daß „der enge Kontakt“zwischen Amateur- und Cheftrainer auch die „Pflicht“des letzteren sei. Daß Ex-Coach Felix Magath Goalgetter Daniel Stendel nach wenigen Kurzeinsätzen abschob, soll sich nicht wiederholen. Der Offensivmann trifft nun regelmäßig für Zweitligist Meppen. Das tut Schehr „in der Seele weh“. Damit die Qual nicht ewig währt, soll Ende 1998 mit dem Bau des neuen HSV-Nachwuchszentrums begonnen werden. „Das Umfeld muß stimmen“, weiß Schehr.

„Noch können wir mit Hannover oder Braunschweig nicht konkurrieren“, macht sich Schehr keine Illusionen. Auf die üppigen Etats, mit denen es sich die Spitzenclubs leisten können, gestandene Bundesligakicker abzuwerben, ist er dennoch nicht neidisch. Schehr erfüllt es mit Stolz, „eine sehr preiswerte Mannschaft“zu trainieren. Der Fußballfachmann setzt auf ehrgeizige, junge Talente und verzichtet auf aussortierte Profis, denen üblicherweise mit allerhand Privilegien der Verbleib in den Fußball-Niederungen schmackhaft gemacht wird. Fast 2,8 Millionen Mark läßt sich der HSV den gesamten Nachwuchsbereich kosten. In der Regionalliga-Mannschaft beförderten „relativ hohe Siegprämien bei niedrigem Grundgehalt“den nötigen Angriffsschwung, erklärt Schehr.

Dennoch droht Hamburg zur Saison 1999/2000 zum weißen Fleck auf der Regionalligakarte zu werden. Die vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) favorisierte zweigleisige dritte Profi-Liga zöge die Zusammenlegung der Regionalligen Nordost und Nord mit sich – die Folge: Zwangsabstieg für 18 Vereine.

Daß sein Nachwuchs ob dieser unklaren Perspektive frühzeitig dem Reiz solventerer Vereine erliegen könnte, befürchtet Schehr nicht. Bessere Perspektiven als der schnöde Mammon biete eine solide Nachwuchsarbeit. „Die wechseln nicht.“Und falls doch? „Dann sind sie halt weg.“ Christoph Ruf Vorletzter Regionalliga-Spieltag in diesem Jahr: Norderstedt – Braunschweig (morgen um 14 Uhr, Ochsenzoller Straße), HSV – Hannover 96 (Hagenbeckstraße) und Arminia Hannover – VfL 93 (beide Sonntag um 14 Uhr)

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