piwik no script img

Trillerkrach und Widerstand

■ Bremens Hochschüler streiken und gehen dafür zur Vorlesung in die Straßenbahn oder zum bunten Happening in die Lloydpassage / Eine spontane Demo war auch dabei

Gleich nachdem die Hochschüler in die Linie 5 Richtung Kulenkampffallee dringen, wird das Plakat ausgerollt. „Vorlesung“kann man von außen durch die Scheiben der Straßenbahn lesen. 65 Hochschüler quetschen sich auf die Sitze. Von den Forderungen der Hochschüler ist aber an diesem Morgen nicht viel zu hören.

„Ich wollte eine ganz normale Vorlesung halten“, sagt Professor Axel Viereck. Er spricht über das Internet, während die Straßenbahn auf den Schienen am Hauptbahnhof vorbeikriecht. Nur auf einem mitgebrachten Flugblatt läßt sich nachlesen, worum es eigentlich gehen soll: Mehr Geld für die Hochschule.

Diszipliniert verfolgen die Studenten die Vorlesung. Das Plakat wird vorsichtshalber zwei Stationen vor der Zielhaltestelle eingerollt, um beim Aussteigen nicht unnötig Zeit zu verlieren. Die Bahn rollt so ohne öffentlichkeitswirksames Streikplakat durch die belebte Innenstadt.

„Das mit dem Plakat war bescheuert“, findet Ingo Kuhlmann zwei Stunden später. Der BWL-Student wartet in der Lloydpassage auf seine Wirtschaftsvorlesung – und verteilt Flugblätter. „Aber wenn es sein muß, können wir auch härter werden“, droht er. Viele der 70 Hochschüler sind inzwischen mit Trillerpfeifen ausgestattet. Die Vorlesung geht vorbei.

Noch zwei Stunden bis zur nächsten Streikveranstaltung. Was tun in der Zwischenzeit? „Nach Hause fahren lohnt sich nicht“, sagt ein Student. Also demonstrieren. Spontan, mit viel Trillerkrach geht es zum Rathaus: „Bürgermeister komm raus“. Eine Verkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt hält sich die Ohren zu.

Doch Scherf ist nicht da. Nach einigem hin und her erscheint ein Pressesprecher. Vier Fragen soll er beantworten – über das Hochschulrahmengesetz, die Einschreibegebühren, den Bremer Haushalt und Grohn, wohin die Bremer Hochschule möglicherweise umziehen soll. Seine Antworten bleiben vage. Überhaupt sei doch die Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs zuständig. „Die wird uns nicht mit so schlappen Antworten davonkommen“, verspricht Stephan Riemer vom AStA.

Aber auch Frau Kahrs ist nicht da. Trotzdem dürfen 50 Hochschüler das senatorische Gebäude betreten – und mit der stellvertretenden Abteilungsleiterin Jutta Sywottek diskutieren.

Doch je länger die Studenten reden, desto mehr verfangen sie sich in internen Problemen der Hochschule Bremen. Aber ihre Hochschule sei autonom, ermahnt Sywottek. Und Geld könne man aus ihrem Hause auch nicht erwarten. „Wir dachten, Ihr geht zum Finanzsenator“, sagt Sywottek. Die Gesichter werden länger.

In der Lloydpassage ist es währenddessen lustig. „Wenn Ihr uns nicht zuhört, nehmen wir Drogen“, heißt die Veranstaltung des Fachbereichs Sozialwesen. Viele Gesichter der 60 anwesenden Hochschüler sind bunt geschminkt, Jongleure werfen Keulen, auf der Bühne steht ein Conferencier. Gegen Geld liest er Sätze aus Fachbüchern vor. „Bildung“, schreit er dazwischen. Passanten schauen interessiert.

Nein, eine Vorlesung ist das nicht. „Das wäre hier absurd“, meint der Lehrbeauftragte Raymund Suchland. Nur durch Phantasie gewänne man Kraft zum Widerstand. Und Lust auf die Uni-Vollversammlung am Montag. susa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen