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Nur die Ministerin warnt

Mit Hilfe eines freundlichen WM-Loses hat in der Republik Frankreich König Fußball die Macht übernommen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Das bordel begann, bevor die Lose für die WM gezogen waren. Am Donnerstag abend – das Freundschaftsspiel „Europa gegen den Rest der Welt“ war gerade zuungunsten Europas abgepfiffen (2:5) – kletterten Hunderte von jugendlichen Fußballfans durch den Graben und rannten auf das Spielfeld des Marseiller Vélodrome. Dort umzingelten sie ihre Stars und versuchten, einzelnen das Trikot vom Leib zu reißen.

Minuten später begannen die Fifa-Funktionäre auf der Tribüne gegen die langsam verhallenden Schreie und Pfiffe unten im Stadium mit verbissenen Gesichtern die Auswahl der Spielgegner für die erste Runde der in sechs Monaten beginnenden WM. Das Ergebnis für Spielgruppe C, zu der Gastgeber Frankreich gehört, versöhnte fast alle Beteiligten mit den eingänglichen Mißtönen – die Fußballhelden, die auf alle möglichen TV-Kanäle verteilt live kommentierten, genau wie die Männer an der Spitze der französichen Politik, die ihrerseits in den vergangenen Tagen sämtlich zu Fußballexperten mutiert sind.

Weder gelten die Fußballmannschaften von Südafrika, Dänemark oder Saudi-Arabien als unbesiegbare Gegner. Noch pflegt Frankreich gegenwärtig besonders komplizierte Verhältnisse zu einem dieser Länder. Im Gegenteil: Die Staatschefs Mandela und Chirac haben ihre Freundschaft bei mehreren gegenseitigen Besuchen bekundet. Die dänische „Fuck Chirac!“-Episode und der Champagner-Boykott aus den Zeiten der französischen A-Bomben-Tests im Jahr 1995 sind beinahe vergessen. Und mit Saudi-Arabien verbindet neuerdings eine gedeihliche Rüstungszusammenarbeit.

„Es hätte schlimmer kommen können“, sagte Mittelstürmer Christophe Dugarry. „Ich kann jetzt gut schlafen“, versicherte der zweite prominente Stürmer Youri Djorkaeff. Auch Michel Platini, größter Ex-Fußballer des Landes und jetzt Koorganisator der WM, war zufrieden: „Das ist ein leichtes Spiel.“ Möglicherweise wird ihn das darüber hinwegtrösten, daß nach dem bordel im Vélodrome der geplante Abriß der Anti-Hooligan-Gitter in neun von zehn Spielorten schwieriger zu rechtfertigen sein wird.

Mit dem Losentscheid hat in der Republik Frankreich König Fußball die Macht übernommen. Die kommerziellen Sponsoren der WM füllen die Werbeflächen des Landes. Die beiden aus der Geflügelwelt inspirierten Maskottchen „Footix“ (für die WM) und der vielbelächelte „Jules“ (für die französische Mannschaft) sind omnipräsent. Die Medien bringen Lebensläufe, Fotos, Kopfgelder und Werdegänge von Fußballern. Und sämtliche Zeitungen machten gestern mit der glücklichen Gruppenauslosung für Frankreich auf. Etwas widerwillig zeigte sich bloß das Boulevardblatt France Soir, das auf der Titelseite oberhalb des Bruchs einen Kommentar „Ich liebe Fußball“ und unterhalb den Gegentext „Ich liebe Fußball nicht“ brachte.

Ein paar nachdenkliche Worte warf die kommunistische Pariser Sportministerin Marie-George Buffet in die Herrenrunde. Nachdem sie in den vergangenen Monaten verhindert hat, daß in den Fußballstadien Alkoholwerbung prangt, warnt sie jetzt davor, daß bei der WM „Geld und Merkantilismus“ siegen.

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