: Ohne Praxis geht es nun mal nicht
Über 50 „Medienwarte“ an Gesamt- und Berufsschulen sollen wegfallen. Derzeit ist offen, wer sich künftig um Computertechnik, Mediatheken und die Wartung teurer Geräte kümmert. Besonders betroffen ist das Fach Sozialkunde ■ Von Kathi Seefeld
Das Verwaltungskürzel „kw“ steht ganz unprosaisch für „kann wegfallen“. Dieser Vermerk läutet derzeit den Abbau von technischem Personal an Berliner Schulen ein. Gestrichen werden aus dem Haushaltsplan 1998 zunächst die Stellen der mehr als 50 sogenannnten Medienwarte, die an Gesamt- und berufsbildenden Schulen tätig sind. Zu ihrer Arbeit gehört die Wartung der audiovisuellen Technik, der Computerkabinette, die Verwaltung von Bibliotheken und Archiven bis hin zu Reparaturarbeiten. Mindestens sechs Medienwarte waren in den vergangenen Jahren im Ostteil der Stadt eigens für diese Tätigkeiten eingestellt worden.
Die Entscheidung über den Abbau sei bereits im Sommer gefallen, erzählt Uwe Buchwald, der am 3. Oberstufenzentrum in Neukölln für den reibungslosen Ablauf der Schultechnik zuständig ist. „Der Senat hatte jedoch nicht vor, die Geschichte vor Januar 1998, das heißt erst dann, wenn die Pakete zur weiteren Verwendung der einzelnen Betroffenen komplett geschnürt worden sind, publik zu machen.“ Aufgrund einer behördlichen Indiskretion erfuhren die Medienwarte allerdings schon jetzt von den „kw“-Vermerken in ihren Unterlagen. Umgehende Gespräche mit dem Personalrat, mit Vertretern des Landesschulamtes und des Innensenates bestätigten das Vorhaben von Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD). Diese habe in einem Deal mit Finanzsenatorin Fugmann-Heesing (SPD) das technische Personal zugunsten neuer Lehrerstellen geopfert, heißt es.
Da es sich nur um etwa 50 Stellen handele, sei eine Protestflut nicht zu erwarten, fürchtet der Neuköllner Medienwart Uwe Buchwald. Eine in den Reihen der SPD kurzfristig vorgesehene Anfrage im Abgeordnetenhaus zur Problematik wurde „im Interesse des Koalitionsfriedens“ fraktionsintern verworfen. Peter Schuster, schulpolitischer Sprecher der SPD, weiß von einer solchen Absprache zwar nichts, äußerte jedoch gegenüber der taz, daß die Fraktion von der Entscheidung ebenfalls überrascht worden sei. „Seit Mittwoch gibt es einen Auflagenbeschluß des Hauptausschusses, wonach Ingrid Stahmer ihr Konzept noch einmal bis März überprüfen soll. Es sollte möglich sein, die Streichungen durch Einsparungen an anderer Stelle zu verhindern“, merkt Peter Schuster an.
In der Schulsenatsverwaltung wird die Entscheidung bislang weiter verteidigt und mit einem „Ausstattungsvorsprung“ Berlins im Vergleich zu anderen Bundesländern begründet. In Zeiten knapper Kassen sei die Einsparung von Medienwarten der Einsparung von Lehrerstellen „ja wohl vorzuziehen“, äußerte sich die Sprecherin der Schulverwaltung, Almuth Draeger. Dazu, ob private Unternehmen künftig die Aufgaben des technischen Personals übernehmen sollen oder LehrerInnen zugemutet werden soll, die Medienbestände an den Schulen selbst zu betreuen, kann Almuth Draeger derzeit keine Aussage treffen.
Die SchulleiterInnen von 15 betroffenen Gesamtschulen gingen mittlerweile schon auf die Barrikaden. In einem Schreiben vom 24. November an Senatorin Ingrid Stahmer protestierten sie gegen die bevorstehende Maßnahme. Weder sei die beabsichtigte Stellenstreichung in irgendeiner Form diskutiert worden noch habe ein Schulrat, ein Vertreter des Landesschulamts oder der Senatsverwaltung jemals Informationen vor Ort über die substantielle Bedeutung der Medienwarte an den einzelnen Schulen eingeholt. „Ihre Aufgabe ist es nicht nur, alle für den Mediengebrauch notwendigen Geräte zu warten oder zu reparieren, in ihrem Aufgabenbereich liegt auch ein hoher Anteil an Arbeit mit Schülern, bei allen Aufführungen und Veranstaltungen der Schule, in jeder für die Gesamtschule so bedeutungsvollen Projektarbeit – innerhalb der Fächer und überfachlich“, so die GesamtschulleiterInnen.
Uwe Buchwald, der seit mehr als zwanzig Jahren Medienwart an verschiedenen Berliner Schulen ist, sieht in der Senatsentscheidung eine Abkehr von der einst noch unter Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien auch in Berlin angestrebten möglichst engen Verbindung von Theorie und Praxis an Gesamt- und berufsbildenden Schulen. Es sei nicht in erster Linie das Problem, ob Leute entlassen würden, meint der Neuköllner Medienwart. Die Frage stehe so gar nicht – selbst wenn hinsichtlich der Ankündigung aus der Innenverwaltung, daß die technischen Mitarbeiter künftig auch Knöllchen verteilen oder Steuern eintreiben dürfen, sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen sei.
„Auf der Strecke bleiben wieder einmal die Kinder, die dann noch schlechtere Lernbedingungen vorfinden, als dies ohnehin schon der Fall ist“, befürchtet Uwe Buchwald. Vielerorts seien extra neue Räume für die Arbeit mit verschiedensten Medien geschaffen und eingerichtet worden. „Gut 30 Prozent des Unterrichts“, schätzt der Medienwart, „beruhen bei uns im Neuköllner Oberstufenzentrum allein auf den Vorleistungen des Medienwarts.“ Der gesamte audiovisuelle Bereich von der Computertechnik bis hin zur Mediathek falle zum Beispiel unter seine Regie, Geräte im Wert von zwei Millionen Mark stünden unter seiner Obhut. „Hier werden nicht nur Lehrfilme, sondern auch Zusammenschnitte fürs Fernsehen produziert.“ SchülerInnen könnten per Video ihre eigene Arbeit festhalten und so Fehler leichter erkennen.
An den Gesamtschulen ist unter anderem das Fach Sozialkunde ohne die Zuarbeit der technischen MitarbeiterInnen für viele LehrerInnen kaum mehr vorstellbar. Auch würden zahlreiche kleinere Reparaturen an der Technik, die bislang von den Medienwarten erledigt wurden, nicht mehr ausgeführt. „Ohne Wartung und Pflege ist der aufgebaute Bestand an den Schulen schon bald nicht mehr zu gebrauchen. Und dann eine private Computerfirma zu beauftragen“, ist sich Uwe Buchwald sicher, „das kommt den Senat in der Konsequenz garantiert teurer.“
Die Medienwarte sind inzwischen nicht die einzigen technischen MitarbeiterInnen an Schulen, deren Stellen gestrichen werden sollen. Als zweite Gruppe soll es nach Aussagen des Personalrats beim Landesschulamt berlinweit die LaborantInnen treffen. 34 von ihnen sollen ebenfalls zum 1. Januar auf die Überhangliste gesetzt werden. Der „kw“-Vermerk in ihren Unterlagen ist vorgesehen, um die fehlenden Stellen für 21 SonderschullehrerInnen finanzieren zu können.
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