: Keine Entschädigung für lebenslange Krankheit
■ Kammergericht wies trotz Verletzung der Aufklärungspflicht des Waldkrankenhauses Spandau die Klage einer Frau zurück, die seit einer Entbindung zu 50 Prozent arbeitsunfähig ist
Die Armenierin R.M. war als gesunde Frau ins Waldkrankenhaus Spandau gekommen, um ihr drittes Kind zur Welt zu bringen. Seit die Frau die Klinik verließ, leidet sie an heftigen Schmerzattacken im Bereich der Halswirbelsäule, im Nacken und in den Schultern. Ein ärztliches Gutachten attestiert ihr „völlige Handlungsunfähigkeit“ während der Attacken. Sie darf das Haus nicht allein verlassen und ist zu 50 Prozent arbeitsunfähig geschrieben. Jetzt hat das Kammergericht die Klage der 49jährigen auf Entschädigung abgewiesen.
Die Frau hatte vor vier Jahren ohne medizinische Notwendigkeit und ohne ausreichende Aufklärung eine Spritze bekommen, die schmerzfreies Entbinden ermöglichen sollte. Die „Periduralanästhesie“ soll ein Schmerzempfinden in der unteren Körperhälfte völlig ausschalten, ist aber mit dem Risiko einer Knochenmarkverletzung verbunden. Frau M. hörte erst im Kreißsaal von der schmerzfreien Geburtsvariante. „Der Arzt wies meine Befürchtung zurück, mir könne von der Anästhesie übel werden. Über andere Risiken haben wir nicht gesprochen.“ Wenige Stunden nach der Entbindung klagte die Wöchnerin über starke Kopfschmerzen und ein Kältegefühl. Die Kontrolle über ihre obere Körperhälfte hatte sie völlig verloren. Es habe lange gedauert, bis das Krankenhaus die Beschwerden der Frau, die die deutsche Sprache damals kaum beherrschte, zur Kenntnis genommen habe. Acht Monate lang konnte sie nicht laufen. Auch ihr Baby konnte sie nicht selbst versorgen.
Das Kammergericht jedoch sah den Zusammenhang zwischen der Betäubungsspritze und den Verletzungen als nicht erwiesen an. Damit folgte es der Auffassung des Landgerichtes. Zwar stehe fest, daß die Frau gesund war, als sie ins Krankenhaus kam, und es krank wieder verließ. Nach dem medizinischen Gutachten jedoch könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, daß die Schädigung wirklich durch die Spritze hervorgerufen worden sei.
Rechtsanwalt Rainer Frank, der die Armenierin vertritt, wies auf die faktische Unmöglichkeit dieses Nachweises hin. Die einzige Möglichkeit hätte in einer Knochenmarkentnahme kurz nach der Entbindung bestanden, die mit einem erneuten gesundheitlichen Risiko verbunden gewesen wäre. Das hatte die bereits damals kranke Frau abgelehnt. Inzwischen seien wichtige Unterlagen wie Röntgenaufnahmen und Ultraschallbilder nicht mehr auffindbar, so der Anwalt.
Frank hatte beantragt, die Beweislast umzukehren, weil das Krankenhaus seine Aufklärungspflicht verletzt hatte. Nach Auffassung des Kammergerichtes lag zwar eine Verletzung der Aufklärungspflicht vor. Diese sei jedoch nicht so schwerwiegend, daß das Krankenhaus verpflichtet werden könne, nachzuweisen, daß bei der Spritze das Knochenmark nicht verletzt wurde. Marina Mai
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