: Der Osten ist doch rot
■ Mit Verspätung rollt die Streikwelle der StudentInnen jetzt durch Ostdeutschland. An der Uni Potsdam ist selbst der Rektor ausgesperrt
Die Protestwelle an den Hochschulen hat erst jetzt so richtig auch den Osten erreicht. In Potsdam, Jena, Leipzig, Weimar und Frankfurt (Oder) wird an den Hochschulen gestreikt. Potsdamer StudentInnen, die sich seit voriger Woche im Warnstreik befinden, besetzen seit dem Wochenende das Rektoratsgebäude der Universität. Die Verwaltungsarbeit liegt damit bis auf weiteres brach. Lediglich ein Notdienst von 20 MitarbeiterInnen werde täglich für zwei Stunden ins Haus gelassen, erklären die Streikposten. „Selbst den Rektor lassen wir nicht mehr in sein Büro.“
Der Studentenrat der Uni Potsdam hat unterdessen den Rücktritt des brandenburgischen Wissenschaftsministers Steffen Reiche (SPD) gefordert. „Reiche ist den Anforderungen seines Ministerpostens nicht gewachsen“, heißt es in einem offenen Brief an Ministerpräsident Manfred Stolpe. Die Studierenden protestieren gegen die geplante Stellenkürzung von 263 Professorenstellen auf 190. Einzelne Studiengänge sind durch diese Maßnahme von der Schließung bedroht.
Unterdessen hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft die Studierenden aufgefordert, zur Entlastung der westdeutschen Universitäten die freien Studienplätze im Osten zu belegen. Das Rektoratskollegium der Technischen Universität Chemnitz ließ parallel dazu verlauten, im Osten gebe es „ausreichend Platz, beste Betreuung und hervorragende Ausstattung“. Die StudentInnen der Universität Leipzig, die ihre Seminargebäude ebenfalls verbarrikadiert haben, wollen das nicht so stehenlassen: „Es ist ein Trugschluß, zu glauben, bei uns seien die Studienbedingungen im Gegensatz zum Westen noch paradiesisch“, erklärt Lutz vom Studentenrat. „Überfüllte Hörsäle kennen wir auch.“ Steigende Studentenzahlen und die chronisch leeren Kassen der neuen Bundesländer machen eine Prognose nicht schwierig: „In ein paar Jahren sieht's bei uns genauso aus wie in Hessen“, sagt der Sprecher des Studentenrats.
Auch die StudentInnen der Bauhaus-Universität Weimar wollen den Unterricht weiter boykottieren. Am Wochenende fanden in mehreren Kirchen, Galerien und Gebäuden der Stiftung Weimarer Klassik öffentliche Vorlesungen statt. Professoren, sich an dem Studentenprotesten beteiligen, lasen dort nicht nur über hochschulspezifische Fragen, sondern diskutierten auch soziale und politische Fragen. „Wir kämpfen auch für die Weimarer Bürger“, sagt Florian vom Streikrat.
In Potsdam werden die erfolgstrunkenen Protestler anscheinend langsam übermütig: Am Wochenende drangen sie in ein Hotel ein, um die dort tagende Konferenz der Bauminister der Länder zu sprengen. Sie forderten „mehr Geld für sozialen Wohnungsbau und eine behindertengerechte Ausrüstung öffentlicher Bauten“. Danach, so die Besetzer, zogen sie weiter „in Richtung Landtag“. Zur nächsten Stürmung? Noel Rademacher
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