: Du henkst, du Hengst!“
■ Ingo Appelt amüsiert im Pier 2 mit Parodie und Beleidigung
Wenn Satire nicht belehren kann, sollte sie wenigstens bestrafen. Das scheint sich Ingo Appelt auf seine Fahnen geschrieben zu haben. Folgerichtig müßte das Programm, mit dem der Spaßmacher am Sonntag im Pier 2 gastierte, eigentlich „Der Bestrafer“heißen. Es heißt aber „Der Abräumer“, und auch das macht Sinn. Den Spitznamen bekam er nämlich während seiner Zivildienstzeit, so erzählte er den in Scharen angepilgerten Vergnügungswilligen, als er die Suizid-Gruppe in einem Altenheim leitete. Da zockten die Kriegsdienstverweigerer fröhlich um bunte Pillen und wärmten das Badewasser mit dem Föhn. So ein dilettantischer Selbstmord wie der von „Tic Tac Toe“-Lees Ehemann wäre in seiner Suizid-Gruppe undenkbar: „Wenn man seine Ische ärgern will, hängt man sich doch nicht da hin, wo man erst nach drei Monaten gefunden wird, sondern gleich in den Eingangsbereich.“Da gab es dann passenderweise zur „Warum“-Melodie die Gesangseinlage „Du henkst“. Dabei wollte der Verstorbene zu Lebzeiten nicht diese Worte aus dem Mund seiner Witwe hören, sondern „du Hengst“. Aber „Tic Tac Toe“könne man als Mann eh nur als Bettnässer gegenübertreten: „Ich bin so konsequent inkontinent – ich bepiß mich!“rappte der Abräumer mit der berühmten Micky-Maus-Frisur.
Zweifelsohne ist Ingo Appelt der hartgesottenste unter den deutschen Komödianten. Sein schmerzgrenzenloser Humor hat erfrischend wenig gemein mit dem gemütlichen Ampel-Kabarett seiner Vorfahren oder dem debilen Kindergartenklamauk seiner „RTL Samstagnacht“-Kollegen. Kein einziger seiner Scherze ist familientauglich; unter Kindesmißbrauch oder Prinzessinenunfall macht er es nicht.
Zum Kanzler hat er ein ähnliches Verhältnis wie Christoph Schlingensief. Als dieser aus künstlerischen Gründen die „Tötet Helmut Kohl“-Parole ausgab, wurde er eingesperrt. Appelt kommt damit durch, wenn er sagt: „Ich hatte sogar schon eine Anzeige in der taz aufgegeben: Suche Kohl-Attentäter.“Oder, ebenfalls mit Kohl-Bezug, zum Diana-Thema: „Es trifft immer die Falschen.“
Appelt redete nicht nur böse über Prominente, er parodierte sie auch. Aber nicht auf Zuruf. Als eine Krakeelerin schon kurz nach Beginn „Konstantin Wecker!“forderte, konterte er bloß: „Ein profilneurotisches Arschloch pro Abend reicht.“Später kam trotzdem das Weckersche Balzlied für seine junge Frau: „Anik, Anik, steck den Finger in den Po und quiek!“Außerdem sang Howard Carpendale bei einer Truppenbetreuungsgala „Deine Ohren im Sand“, und Udo Lindenberg nuschelte vom Minenfeld, das hinter dem Horizont weiterginge.
Politiker durften auch nicht fehlen, der laaangsame Scharping zog sich als Running Gag durch den Abend. Eine etwas billige Taktik in einem ansonsten äußerst klugen Programm, die immerhin den Nachahmungstrieb des Publikums befriedigte. Nach der Veranstaltung konnten die, die sowas gerne tun, in aller Ruhe Ingo Appelt nachahmen, wie er Rudolf Scharping nachahmt. A.Neuenkirchen
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