Ungerecht und geschmacklos

■ betr.: Notopfer Krankenhäuser

Gestern kam mir der Bescheid einer Krankenkasse an deren pflichtversicherte Mitglieder in die Hände: Ab sofort sind diese aufgefordert, innerhalb von vier Wochen ein Notopfer in Höhe von 20 DM zu entrichten, dies gilt jeweils für die Jahre 1997 bis 1999.

Nach diesem Bescheid liegt der Grund für diese Notopfer darin, daß seit 1993 ein Streit darüber besteht, wer für die Instandhaltungsaufwendungen der Krankenhäuser aufzukommen hat; die Bundesländer – außer Bayern – weigern sich, die Kosten zu übernehmen. Der Gesetzgeber hat sich daher für eine dreijährige Übergangsregelung entschieden: Alle Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen haben für drei Jahre pro Jahr den Betrag von 20 DM an ihre Krankenkasse zu zahlen, die nun für diese Aufwendungen zuständig sind.

Ausgenommen von dieser Regelung sind – neben den üblichen „sozialen“ Fällen – die privat Versicherten und die Beamten, die ihren Beitrag zur Instandhaltung der Krankenhäuser in Form erhöhter Pflegesätze nur zu leisten haben, wenn sie deren Dienste in Anspruch nehmen.

Diese Regelung empört mich zutiefst, ich finde sie ungerecht und geschmacklos, und ich bin der Meinung, daß dies „ein Fall für die Zeitung“ ist. Darum schicke ich Ihnen anbei einen Brief, den ich Minister Seehofer geschrieben habe. Vielleicht läßt sich in dieser Angelegenheit doch noch ein anderes Verfahren erreichen:

Bundesministerium für Gesundheit

Herrn Minister Horst Seehofer

53108 Bonn

betr.: Notopfer nach Art. 17 § 2 des 2. GKV-Neuordnungsgesetzes und § 28 der Satzung

Sehr geehrter Herr Minister,

ich protestiere gegen das in o.a. Angelegenheit angewendete Verfahren, nach dem Pflichtversicherte für drei Jahre jeweils einmal dieses Notopfer in Höhe von 20 DM zu entrichten haben, um einen Beitrag zur Instandhaltung der Krankenhäuser zu leisten, privat Versicherte und Beamte dagegen erst in Form höherer Pflegesätze bei Inanspruchnahme von Krankenhausdiensten.

Dieses Verfahren macht wieder einmal deutlich, daß wir in dieser Republik in einer Zweiklassengesellschaft leben. Womit rechtfertigt sich daß?

Warum soll die eine Gruppe von Versicherten geschlossen die Krankenhäuser sanieren helfen, während die andere Gruppe, ebenfalls potentielle Nutzer dieser Einrichtungen, sich nur dann an den Kosten zu beteiligen braucht, wenn sie diese nutzt?

Dies ist ungerecht. Es widerspricht dem Prinzip des noch bestehenden Sozialstaates „Einer für alle, alle für einen“, dem auch Ihr Ministerium folgt – vorgibt zu folgen!

Die ehrliche Antwort auf meine Frage werden Sie mir nicht geben, ich kenne sie aber doch: Sie wissen, daß Ihnen die Masse der Beitragszahler, die sogenannten kleinen Leute, nicht „entgehen“ können. Denn in unserem demokratischen Rechtsstaat (der bei dieser Politik bald wieder ein Linksstaat sein wird) gibt es – je nach Bedarf – einerseits diejenigen, die nach Art der Massentierhaltung ihrem Aufseher auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, die sich in allem Gleichenden, andererseits gibt es aber die anderen, diejenigen, die „gleicher“ sind, die Ausnahmen.

Dieses Lied ist nicht neu, aber es ist außerordentlich bemerkenswert, in wieviel ungeahnten Varianten es über die Zeiten hinweg doch immer wieder gesungen werden kann!

Aber vielleicht haben Sie, sehr geehrter Herr Minister, Ihre „gleicheren“ Mitbürger, deren letztes Hemd auch keine Taschen hat, nur unterschätzt: Vielleicht wollen all die privat Versicherten und Beamten gern drei Jahre lang jeweils eine Überweisung über 20 DM ausfüllen, weil sie es in ihrem tiefsten Innern verabscheuen, schon wieder bevorzugt zu werden; sie wissen vielleicht nur nicht recht, wie sie es Ihnen sagen sollen, daß sie das haben, was Sie ihnen zu zeigen verwehren: Anstand, Bildung, Herzensbildung sogar. Ich rechne ganz fest damit, daß es vielleicht so ist.

Noch aber protestiere ich gegen das von Ihnen eingeführte Verfahren, und ich erwarte, daß die jetzt bestehende Regelung im von mir angesprochenen Sinn geändert wird. Verordnen Sie, sehr geehrter Herr Minister, wenn es sich wirklich um eine Notsituaton handelt, verordnen Sie einfach; es funktioniert doch, wie der aktuelle Fall zeigt.

Bitte antworten Sie mir nicht, daß diese Entscheidung nach eingehender Beratung... usw. Die gegenwärtige Misere ist die Folge vielfacher Mißwirtschaft seitens der Regierung, das heißt der Ministerien. Das Volk hat dafür – ungefragt – aufzukommen, denn auch hier gilt das Prinzip „Einer für alle, alle für einen“. Dies aber nehmen auch Sie bitte wörtlich und handeln danach. Es soll doch beim Rechtsstaat bleiben, nicht wahr? Anneliese Bukowski, Berlin