: Der Lkw von André
■ Berliner Zimmer, Teil 3: Eine Besuchsreihe von Falko Hennig
Ich heiße André und bin 28. Du bist doch auch von der taz und nicht von der Kriminalpolizei? Ich offenbare hier jetzt meine privateste Intimsphäre. Ich wohne hier so richtig drin. Den Lkw hat Stefan gekauft, und der hat den umgebaut. Der Koffer hier ist ein Westkoffer, der Lkw ist ein Ostfahrzeug. Da habe ich zugeguckt, und als er den dann fertig hatte, habe ich ihm den abgekauft, weil ich zu der Zeit gearbeitet und ziemlich viel Geld verdient hab. 7.000 mit TÜV und so. Das ist ein W50 mit einem MAN-Koffer obendrauf. Den Koffer hat der draufgesetzt, den Rest habe ich so eingerichtet. Der fährt so 80 auf langen Strecken. Das ist halt auch ganz nett, du kannst vorne fahren, und hinten können die Leute fernsehen, da kann man die Luken aufmachen und kann auf dem Bett sitzen und rausglotzen. Schon 'ne nette Optik. Ist aber verboten. Ich benutze den wie ein Wohnmobil, ich war ein halbes Jahr in Spanien. Und ich fahr' hier halt so rum. Aber größtenteils steht er schon hier. Weil er soviel Sprit verbraucht. 25 Liter Diesel.
Der ist Baujahr 76. In dem wohne ich jetzt zweieinhalb Jahre. Davor habe ich auf der East Side gewohnt in einem Acht-Meter- Bauwagen. Die East Side Gallery, die sie geräumt haben letztes Jahr. Wir haben uns, kurz bevor die geräumt wurde, vom Acker gemacht. Erst sind wir nach Mitte gegangen und haben dann hier den Platz besetzt. Bei der Räumung haben die ja alles kurz und klein gestampft damals, deswegen sind wir schon vorher abgehauen. Wir hatten keine Lust, da Sachen zu verlieren. Wir wußten, daß geräumt wird, aber da schien es dann unumgänglich. Irgendwie hat es dann verdammt so gerochen.
Ursprünglich war es an der East Side ziemlich schön, aber nachher halt nicht mehr so, als es da mit den Morden losging und so. Irgendwie war das alles schon etwas wild. Ich habe auch nicht mehr begriffen, was da losgewesen ist. Auch die Drogendealerei, das war mir dann alles ein bißchen viel zum Schluß.
Ich hab bei der East Side ein gutes Gefühl gehabt. Ich habe da dreieinhalb Jahre gewohnt, und das war am Anfang wunderschön mit der Spree und so. Der Platz war auch ziemlich geil, schöne Gebäude gegenüber. Das hat sich mit der Zeit verändert, mit der Zeit wurde das schon zum merkwürdigen Ort. Aber wenn man die Leute kennt und weiß, mit wem nicht gut Kirschenessen ist, dann hält man sich von einigen fern. Wenn du im Wohnblock wohnst und da wohnen 200 Leute, dann hast du auch vielleicht nur mit zehn was zu tun, und die anderen meidest du. Unangenehme Zeitgenossen gibt es halt überall.
Die wichtigsten Sachen habe ich hier drin, ich habe da hinten noch einen Bauwagen stehen, und da habe ich halt noch Kram drin, ziemlich viele Kartons. Ein paar teurere Sachen habe ich noch bei meiner Freundin untergestellt. Den Ofen habe ich eingebaut, dann habe ich noch eine Standheizung drin, eine Benzinheizung. Dieser Ofen ist ein Allesbrenner. Diese Plexiglaskugel war einmal ein Lampenschirm. Das, was da hängt, ist Marihuana. In den kleinen Fenseher kriege ich ORB ein, dann dieses neue TV Berlin oder wie das heißt, Pro7 und das Erste. Und dann kommt's drauf an, in Spanien habe ich zwölf Programme reingekriegt, in Frankreich gar nichts. In Italien auch Softpornos und so. Es kommt drauf an, wo du stehst.
Wenn ich irgendwohin fahre, muß ich ein bißchen Zeit haben, und ich habe ja eine Freundin. Also mindestens zu zweit, auch mit mehr Leuten. In Frankreich bin ich mal verkehrtrum in den Kreisel reingefahren. Die fahren ja da alle so Miniautos. Die haben tierisch geil geguckt, als ich mit dem Monster da um die Ecke gebogen bin. In einer Düne habe ich mich mal festgefahren. Das war auch witzig. Da mußte ich ziemlich lange graben. Wenn es um Zimmer geht: Das nette an dem Zimmer ist eigentlich, daß ich hier schon auf dem Bett gelegen hab' und Palmen vor der Türe hatte und so.
Das ist ganz nett, daß sich die Aussicht immer ändert. Spanien, da war ich 3.500 Kilometer gefahren bis zum südlichsten Zipfel, wo es nach Afrika rübergeht. Das war so das Weiteste. Viel in Deutschland rumgekurvt mit dem Ding. Italien. Durch Frankreich durch. Ein 12-Volt-Fernseher ist das hier, dann halt Autoradios und so. Hier ist mein Wäscheschrank, da ist mein Kühlschrank hinterm Spiegel. Gas ist grad alle. Hier haben wir halt einen Generator, und dann gibt's Strom. Es hat jeder selbst so einen kleinen Generator, und dann haben wir noch einen großen, und damit wird für alle Strom betrieben. Den Generator haben sich damals fünf oder sechs Leute zusammen gekauft, haben den hier hingestellt, und der wird von allen benutzt. Das heißt, wer ihn benutzen will, der muß Sprit, Diesel reinfüllen. Es stecken sich dann alle ein, daß dann alle Strom haben. Wer den anwirft, muß dafür sogen, daß Sprit drin ist.
Bevor ich in den Bauwagen gezogen bin, da habe ich in Steglitz in einer Wohnung gewohnt und davor in Essen. Ich spiele auch immer mal wieder mit dem Gedanken, in eine Wohnung zu ziehen, neulich habe ich mich auch mal beworben. Es fehlt mir dann einfach das Draußensein. Die direkte Verbindung zur Außenwelt ist in einer Wohnung schon anders. Da kannst du halt kein Feuer machen und so was.
Meine Familie habe ich neulich zum Familientreffen besucht mit dem Auto. Man war allgemein begeistert. Nicht unbedingt von den Lebens- und Wohnverhältnissen, das akzeptiert man schon. Aber bei mir ist das auch mit einer gewissen anderen Lebenseinstellung verbunden, und die wird gelegentlich nicht so akzeptiert. Daß ich nicht fest arbeite jeden Tag, daß ich damals meine Schule nicht beendet habe und angefangen habe zu studieren. Ich komme ja aus dem Ruhrgebiet, aber jemand aus dem Osten sagte, hier hätte früher ein großes Gebäude für die Allgemeinheit gestanden. Und das hätten sie abgerissen, und es ist eben nicht klar, wem das hier gehört. Und deswegen stehen wir hier auch.
Funktelefon, das ist arschteuer, aber es geht einfach nicht anders. Ich habe fünf Jahre kein Telefon gehabt. Und als es preiswerter wurde, da habe ich mir überlegt, daß ich mir den Luxus mal gönne. Ich jobbe halt auch, und wenn du kein Telefon hast, kannst du nicht angerufen werden und somit auch kein Geld verdienen. Das bezahlt sich selbst, das Telefon, auf jeden Fall. Nur wenn man zuviel Pizzataxi bestellt hier in die Wagenburg, dann wird es teuer. Nicht alle machen das, aber ich. Es gibt Leute, die das vielleicht ablehnen, Funktelefon und Pizzataxi, weil denen das zu dekadent erscheint. Aber ich find' das ganz okay.
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