: Russischgrüner Furor
■ „Bilder einer Ausstellung“in der Galerie Steinbrecher
Vor mehr als hundert Jahren komponierte Modest Mussorgsky seine „Bilder einer Ausstellung“nach den Werken des Petersburger Malers Viktor A. Hartmann. Jetzt bringt der Berliner Maler Peter Herrmann die Kompositionen Mussorgskys wieder zurück auf die Leinwand, indem er 16 neue „Bilder einer Ausstellung“malt. Kann das gutgehen?
Es kann. Und wie! Der Furor, in dem Peter Herrmann seine teils großformatigen Variationen zu Mussorgsky innerhalb weniger Monate ausgeführt haben muß, weht die BesucherInnen der Galerie Steinbrecher geradezu an. Er ist gemischt mit dem Geruch von frischem Öl. Die „Bilder einer Ausstellung“beschwören aber nicht nur die Lebendigkeit einer Ateliersituation herauf, sondern glänzen auch durch eine formal wie farblich beeindruckende Energie. Und wer sich angesichts der grotesken Figuren und Szenerien in eine Ausstellung des Malerfürsten A.R. Penck versetzt wähnt, liegt gar nicht mal so falsch: Herrmann und Penck sind seit langem enge Freunde.
Was an Herrmanns Gemälden am meisten überzeugt, ist die gelungene Entheroisierung der Motive Mussorgskys. Ohne jedes Pathos kommt da das berühmte „Große Tor von Kiew“daher, als fast lächerliches Symbol, versteckt hinter einem dominierenden Wald aus Birkenstämmen und gesäumt von einem Lattenzaun statt von einer imposanten Stadtmauer. Ähnlich „Das alte Schloß“in seiner ironischen Brechung inmitten eines baumlosen Parks. Oder „Bydlo, der Ochsenkarren“, dessen Geklapper Mussorgskys gleichnamiges Stück bestimmt, der bei Herrmann jedoch klein im Hintergrund abgestellt und von seinem Ochsen verlassen worden ist. Und „Die Hütte der Baba Yaga“ist eher ein Bahnhof, in dem nur ein Marabu wie in einem Käfig lebt. All dies, wie auch die 5 fiktiven „Seelenportraits“von Mussorgsky oder der E.T.A.-Hoffmann-artige „Gnom“, sind von einer so klaren Strichführung und entschlossenen Farbgebung, daß man sofort spürt: Dies ist eine große Ausstellung. Eine, deren Künstler den Villa-Romana-Preis wahrlich verdient hat, der ihm unlängst verliehen wurde. Während Galerist Steinbrecher mindestens viele interessierte Besucher verdient hat. Denn die Idee, Peter Herrmann zur Schaffung dieses Zyklus aufzufordern, zeigt, daß nicht nur Musen, sondern auch Galeristen Künstler beflügeln können. M. Wecker
Am Dobben 123. Heute spielt der Pianist Boris Cepeda Mussorgskys „Bilder“in der Galerie, 20 h.
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