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Muffiger Mitbewohner

Wenn Er im Haus die Sporen gibt: Schimmelpilzgeplagte sind eine wachsende Gruppe, deren Existenz historisch bedingt ist  ■ Von Heike Haarhoff

Es ist wie früher, als wir Geschwister immer erst ängstlich und in der Erwartung von Gespenstern unters Bett guckten, bevor wir einschlafen konnten. Mit dem kleinen Unterschied, daß sich mein Blick, wenn ich heute mein Schlafzimmer betrete, nicht mehr unters, sondern reflexartig übers Bett richtet – in die Wandecke oben über dem Fußende.

Also dorthin, wo Er saß, fleckig, gräulich-grün und muffig, monatelang, den ganzen vorigen Winter hindurch und darüber hinaus. Wann immer ich erwachte, war Er schon da, zusehends wachsend und mich quälend. Bis meine Vermieterin, eine große Hamburger Wohnungsgesellschaft, den Spuk auf mein zartes Drängen hin („... sehe ich mich andernfalls gezwungen, rechtliche Schritte gegen Sie einzuleiten ...“) an einem strahlend-heißen Sommertag beendete: Ein bißchen Anti-Schimmel-Farbe, und Er, mein Pilz, war weg.

Exakt ein Jahr ist das jetzt her. Doch statt Erleichterung macht sich Sorge breit. Es treibt mich um, daß mein sporen- und keimbehafteter Mitbewohner unerwartet wieder auftauchen, sich durch Putz und Wandfugen fressen und sodann meine Augen und Atemwege belasten könnte. Schließlich ist Winterzeit Schimmelzeit.

Was also tun? „Prävention“, lehrt mich ein Freund, der Sozialarbeiter ist, seine Standardlösung in allen Lebensfragen. Die feuchte Raumluft schlägt sich im Winter dort nieder, wo es am kältesten ist, also bevorzugt auf den Außenwänden, klärt die Verbraucherzentrale auf. Aha. Heizen, heizen, heizen, und immer auf den Schimmel fluchen, folgere ich. „Vergessen Sie außerdem nicht, zu lüften, und zwar richtig“, rät Michael Kopff vom Mieterverein zu Hamburg. Wegen der Frischluft. Kann man auch falsch lüften? Man kann. Fenster kippen allein reicht nicht. Das führt nur dazu, daß die Wohnung auskühlt. Die feuchte Luft dagegen wird man nicht los, im Gegenteil: Sie schlägt sich auf der Rauhfasertapete nieder und lockt den Schimmel an.

Richtig lüften dagegen bedeutet, „eine ausreichende Querlüftung mit offen stehenden Fenstern herzustellen“, sagt Michael Kopff. Also mehrmals täglich für einige Minuten die Fenster weit aufreißen, Durchzug, fertig. (Für die Geizigen oder Umweltbewußten unter uns: während dieser Zeit natürlich die Heizungsventile zudrehen.)

Ich behaupte, dieses „richtige Nutzerverhalten“, das meine Unschuld an den fünfmarkstückgroßen Schimmelflecken nachweisen soll, stets praktiziert zu haben. Trotzdem suchte Er mich heim.

Immerhin, tröstet Michael Kopff, muß man sich wegen Schimmel heutzutage nicht mehr schämen. Im Gegenteil: Wir Schimmelgeplagten sind eine wachsende gesellschaftliche Gruppe, deren Existenz historisch bedingt ist. Bis zum Jahr 1973 war Schimmel in Mitteleuropa „kaum als Problem bekannt“. Die zugigen, einfachverglasten Fenster sorgten für einen natürlichen Luftaustausch. Dann aber kam die Erdölkrise und mit ihr die hermetisch dichten Isofenster. Die sparen zwar wie gewünscht Energie, leider offenbar manchmal die falsche: die, die Sein Wachstum behindert, jedenfalls nicht.

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