: „Freundlichkeitsvirus“ geht um
Von einem Zugabfertiger, der nicht „bitte“ sagen will, Freigetränken beim Essen ohne „Guten Appetit“ und einem Unternehmen, das per „Verfassung“ auf Kundenfang geht ■ Von Barbara Bollwahn
Es gibt Leute, denen kommt es nicht über die Lippen, das kleine Wörtchen „bitte“. Anderen muß man die psychologische Bedeutung in teuren Schulungen klarmachen. So wie bei den 1.200 Zugabfertigern der BVG. Denen wurde in sogenannten Lächelseminaren beigebracht, daß die Fahrgäste weniger verschrocken in die Bahnen einsteigen, wenn dem „Zurüüüüüüüückbleiben“ ein „bitte“ folgt.
Anfang dieses Jahres lief das Seminar, das parallel zu Schulungen über Kundenfreundlichkeit veranstaltet wurde, nach zweijähriger Dauer aus. BVG-Pressesprecher Klaus Wazlak spricht von einem „hundertprozentigen Erfolg“: „Sie werden heute so gut wie keinen Zugabfertiger finden, der nicht ,bitte‘ sagt“, ist er überzeugt.
Kunststück: Einem Zugabfertiger, der sich dem Wörtchen mit der Begründung widersetzt hatte, es handele sich nicht um eine Bitte, sondern einen Hinweis, wurde gekündigt. Wazlak betont, daß der Grund nicht allein die Bitte-Weigerung gewesen sei. „Der hatte einige Sachen mehr auf dem Kerbholz.“ Das Arbeitsgericht sah das jedoch anders und gab der Klage des Zugabfertigers gegen seine Kündigung statt. Doch die BVG versetzte ihn in einen anderen Bereich, um zu zeigen, so Wazlak, „so geht es nicht“. Der Pressesprecher ist trotz der Niederlage vor Gericht überzeugt, daß das Verfahren wegen seiner „Innenwirkung“ erfolgreich war.
Mit dem Für und Wider aufgesetzter Freundlichkeit hat sich der Betreiber eines Burger King am Alexanderplatz beschäftigt. Thomas Wolff, der den Laden als Lizenznehmer betreibt, findet „auferlegte Freundlichkeit“ allemal besser als „echte Unfreundlichkeit“. Weil es einigen VerkäuferInnen an unternehmensfördernder Nettigkeit gefehlt hatte, bietet er seit knapp zwei Monaten einen ganz besonderen Service an. Wer an der Kasse sein Essen in Empfang nimmt und nicht mit den Worten „Guten Appetit“ verabschiedet wird, bekommt ein Freigetränk. Bisheriges Resümee: zwei Freigetränke. „Das war eine Frau, die sonst in der Küche ist“, beeilt sich Wolff zu sagen. Der Geschäftsführer der etwa 30 Burger- King-Läden in der Stadt, Dieter Stummel, begrüßt solche Eigeninitiativen.
Generell gebe es einige „Bausteine der Kommunikation“, erklärt Stummel die Grundregeln der Fast-food-Kette. Dazu gehörten „Blickkontakt, höfliche Begrüßung und Verabschiedung, ein kleines, nettes Gespräch“. Die Ursache von Unfreundlichkeit sieht er nicht im „täglichen Druck“ der Angestellten. Dem seien die Leute „weltweit ausgesetzt“. Doch im Vergleich zu den USA, wo „das allgemeine Niveau sehr hoch“ sei, gäbe es in Deutschland bislang noch „ein großes Potential“. Der Geschäftsführer ist überzeugt: „Auch Freundlichkeit kann anstecken. Man muß einen Freundlichkeitsvirus säen.“
Was von den einen wie ein Krankheitserreger behandelt wird, ist für andere Anlaß zu einer radikalen Rundumkur. Der Karstadt- Konzern beispielsweise, der seit Oktober an einer Verbesserung von Beratung und Service brütet, hat eigens eine firmeneigene „Verfassung“ namens „Spirit Karstadt“ ausgearbeitet, um die Mitarbeiter stärker an das Unternehmen zu binden und den Kundenservice zu verbessern. Anfang nächsten Jahres sollen die Innovationen in den Filialen eingeführt werden. „Wer die Artikel und Regeln anerkennt und sie täglich verwirklicht, ist Teil der Karstadt-Gemeinschaft“, heißt es in der „Verfassung“ irgendwie sektenmäßig. „Er wird Wertschätzung, Anerkennung und Unterstützung erfahren. (...) Diese Bewegung ist nicht umkehrbar. Der Vorstand setzt sich an ihre Spitze und sichert die Einhaltung der Verfassung.“ Die Mitarbeiter, die „täglich in Tausenden von Kundenkontakten das gute Bild von Karstadt erneuern sollen“, werden zu diesem Zwecke zu „Botschaftern“. Aufgabe der Führungskräfte: ihnen „den Rücken freizuhalten“.
Es gehe nicht um „aufgesetzte Freundlichkeit“, betont der Geschäftsführer der Filiale am Hermannplatz, Reiner Schierholz. „Das soll vom Herzen kommen. Egal, ob der Kunde für eine oder tausend Mark einkauft.“
Unter Regel 2 der „Verfassung“ – „Alle leben unsere Standards“ – ist die Grundlage des neuen Arbeitens festgelegt. Standards, die weniger in eine „Verfassung“ denn zum Selbstverständnis gehören sollten: „Sie unterbrechen jede andere Arbeit, wenn ein Kunde Sie braucht. Sie begrüßen Ihre Kunden. Sie bedanken sich für den Besuch und verabschieden sich. Wenn Sie einem Kunden selbst nicht weiterhelfen können, kümmern Sie sich so lange um ihn, bis ein Kollege ihm hilft.“
Nach Angaben von Elmar Kratz, Pressesprecher am Firmensitz in Essen, sind alle MitarbeiterInnen gehalten, die Verfassung mit einer Unterschrift zur Kenntnis zu nehmen. Er räumt zwar ein, daß das „Selbstverständlichkeiten“ sind. Doch wer nicht unterschreibe, „hat vielleicht Probleme mit seinem Job“, sagt er. Doch eine „Lächelpflicht“, wie von Boulevardzeitungen reißerisch prophezeit, sei „absoluter Schwachsinn“.
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