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Sind die Dinge erst einmal befreit...

■ Kein Etikettenschwindel, Castorf bleibt Castorf, auch in der Operette: De Fladdermüs - "Die Fledermaus" im Hamburger Schauspielhaus

Im Hamburger Schauspielhaus hatte „Die Fledermaus“ Premiere. Eine Strauß-Operette im Castorf- Stil. Der Meister selbst inszenierte wie gewohnt, der Hamburger Theatermusiker Franz Wittenbrink instrumentierte neu, und das Hamburger Publikum applaudierte verhalten.

Links und rechts der Bühne stehen zwei Flügel, im Bühnenhintergrund erklingt eine Trompete: Wittenbrink hat die Straußsche Partitur zu einer Song-Collage umgearbeitet und reduziert, minimalistisch und sachlich und auf jeden Fall ohne Rücksicht auf den Schwung der Wiener Schule. Er selbst spielt während der Aufführung den Flügel Nummer zwei und muß gar nicht so selten Despektierlichkeiten seitens der Schauspieler über sich ergehen lassen: „Hör endlich auf zu klimpern!“ sagt Josef Ostendorf, der überhaupt ziemlich häufig Ungezogenes über das zur Aufführung gekommene Stück zum besten gibt. „Na klar, der Titel ist scheiße“, vertraut er dem Publikum an, wenn er aus seiner Rolle als Notar Dr. Falke heraustritt.

In der Mitte der Bühne stehen vor einer Blümchentapete zwei Stühle und ein Tisch mit zwei Weingläsern, das Wohnzimmer von Gabriel und Rosalinde von Eisenstein (Michael Wittenborn und Katherina Lange): Frank Castorf hat von Bert Neumann sparsam dekorieren lassen. Um so mehr verlangt er seinen Schauspielern ab. Er läßt sie neben ihre Rolle treten, in diese und jene Rolle fallen, aus der Rolle fallen – das für ihn typische kaleidoskopische Spielen mit der Persona.

Gabriel muß sich für acht Tage von seiner Frau trennen, da er eine Haftstrafe wegen Beamtenbeleidigung antreten muß. Beide verabschieden sich unter falschen Tränen: Gabriel kann es gar nicht erwarten, das Haus zu verlassen, da er vor dem Einsitzen noch einmal „abspritzen“ will, und zwar auf dem Ball des Prinzen Orlofsky (Jean Pierre Cornu), zu dem ihn sein Freund, der Notar Dr. Falke (Josef Ostendorf), eingeladen hat. Rosalinde möchte den Gatten ebenfalls schnell loswerden, denn draußen wartet schon aufgegeilt und singend ihr Liebhaber Alfred (Max Hopp).

Katherina Lange beginnt sächselnd, fällt später in den Sprachduktus Hitlers, in den einer Furie, in den einer Schmierenkomödiantin, in den einer Soubrette. Dazwischen wilde Balgereien und obszönes Handgemenge, aggressive Ausbrüche des Sexus und des Machtgebarens, die Lust an der Erniedrigung des anderen. Da stimmt die begrapschte Kammerjungfer Adele (Caroline Ebner) dann schon mal den Song von der Seeräuberjenny an und verflucht männliche Dominanz: „Schwanzschwein!“ muß sich Gabriel von ihr an den Kopf werfen lassen. Der rächt sich dann später auf Orlofskys Maskenball, indem er – die Tarnung Adeles dekuvrierend – behauptet, er sei nicht „hierhergekommen, um diese Proletenfotze zu ficken“.

Zum Ficken aber haben sich alle dort versammelt, maskiert freilich: Eisenstein als Marquis Renard, der in stetem wiederholten Ritus den Chevalier Chagrin (tatsächlich der Gefängniswärter Frank, gespielt von Frank Grawert) homosexuell angeht und versucht, die ungarische Gräfin (tatsächlich seine eigene Frau) „flachzulegen“; Adele und ihre Schwester Ida (Bettina Engelhardt) in der Maske der großen Schauspielerinnen, die auf diese Weise eine Umkehrung der Verhältnisse versuchen: „Du, wir kommen ganz groß raus“, schreien sie. Lediglich zwei weibliche Gäste sind unmaskiert, Faustine und Hermine, gespielt von Maggie Kovac und Kerstin Kötz, zwei Laiendarstellerinnen vom Kiez, die es gewohnt sind, für Geld ihren nackten Körper zu zeigen. Da hat Frank Castorf von Schlingensief gelernt.

Nach einem kollektiven Rausch, der im Niedersinken und im Marthalerschen Gruppenschlaf endet und einem kurzen Zwischenspiel im Gefängnis, begleitet von einem pornographischen Manga als Rückprojektion und von Rammsteins „Bück dich“, wird die anfängliche Ordnung wieder hergestellt, natürlich so unordentlich wie am Anfang des Stücks. „Sind die Dinge erst einmal befreit, so verlieren sie alle Sinnatome“, stottert Gabriel oder besser: stottert Michael Wittenborn in der Rolle einer sich selbst reflektierenden Bühnenfigur, die sich an einem Text Jean Baudrillards versucht.

Frank Castorf bleibt auch in seiner neuen Regiearbeit seinen Themen treu: Geschlechterkampf, Kapitalismus, die Ohnmacht vor der Geschichte, das Obszöne im Sexus und das Philosophische im Obszönen, das letztliche Fehlen einer Wahrheit und die Rettung ins Absurde – präsentiert in einer Sperrholzarena und im facettenreichen, schillernden Gewand einer revuehaften Inszenierung – alles das ist nicht neu, und manchmal ist es auch ein wenig ermüdend, aber trotzdem: Am Ende war ich zumindest so angetan wie nach jeder Castorf-Aufführung. Weil sein Theater vital und intellektuell zugleich und alles andere als Etikettenschwindel ist: Steht Castorf drauf, ist Castorf drin!

Das Hamburger Publikum war mit seinem – in Anbetracht der fast dreistündigen Theaterleistung – etwas mageren Applaus offensichtlich nicht dieser Ansicht, vor allem nicht der Hanseat, der neben mir saß. Der schrie nämlich tatsächlich dem auf die Bühne tretenden Regisseur „Schwanzlutscher“ entgegen und rückte sich danach seinen Schlips zurecht. Ich glaube, Frank Castorf hätte diese Szene gefallen. Christian Loeffelbein

„Die Fledermaus“ von Johann Strauß. Regie: Frank Castorf. Musikalische Leitung: Franz Wittenbrink. Deutsches Schauspielhaus Hamburg

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