piwik no script img

Verfassungsbeschwerden schwergemacht

■ Expertenkommission sollte das Bundesverfassungsgericht entlasten. Nun wollen die Gutachter um den Ex-Richter Benda das Gericht grundlegend umbauen. Verfassungsänderung

Freiburg (taz) – Eine unabhängige Expertenkommission des Justizministeriums hat vorgeschlagen, das Recht der BürgerInnen auf Verfassungsbeschwerde massiv einzuschränken. Der Kommissionsvorsitzende und ehemalige Verfassungsrichter Ernst Benda legte gestern den Abschlußbericht Justizminister Edzard Schmidt- Jortzig (FDP) vor.

Über Verfassungsbeschwerden sollen danach nur noch die Senate des Gerichts entscheiden können. Damit wäre die Arbeit der beiden achtköpfigen Spruchkörper des Verfassungsgerichts endgültig überlastet. Die nur mit drei RichterInnen besetzten Kammern, die bislang über fast alle Individualbeschwerden gegen Grundrechtsverletzungen befanden, will die Benda-Kommission abschaffen.

Vor allem von konservativer Seite waren die Kammern in letzter Zeit unter Beschuß geraten. So wurde süffisant vermerkt, daß die erste „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung 1994 „nur“ eine Kammerentscheidung gewesen sei. Das Verfassungsericht besteht aus zwei Senaten: einem hauptsächlich für Grundrechtsverletzungen zuständigen und einem, der über staatsrechtliche Streitfragen befindet.

Die Benda-Kommission war im September 1996 eingesetzt worden, um dem obersten deutschen Gericht die Arbeit zu erleichtern. 1995 hatte es mit fast 6.000 Verfahren einen neuen Höchststand gegeben – die roten Roben fühlten sich überlastet. Rund 98 Prozent der Verfahren sind Verfassungsbeschwerden, mit denen sich BürgerInnen gegen Gerichtsurteile oder Gesetze wehren, die ihre Grundrechte verletzen. Allerdings ist die Zahl der Klagen inzwischen deutlich zurückgegangen. In diesem Jahr wird es wohl nicht einmal mehr 5.000 Bürgerbeschwerden geben. Justizminister Schmidt- Jortzig betonte gestern dennoch: Die Kommission habe „noch einmal eindringlich bestätigt, daß unser Bundesverfassungsgericht in jeder Weise überlastet ist“.

Die elfköpfige Kommission, der auch die VerfassungsrichterInnen Karin Graßhof und Dieter Grimm angehörten, hatte jedoch eine Stoßrichtung entwickelt, die auf den Aufbau des Verfassunsgerichts zielt: Seine Strukturen sollen grundlegend geändert und die Arbeitskapazität reduziert werden. Die Dreierkammern, einst gebildet, um die ständig steigende Zahl der Verfassungsbeschwerden zu bewältigen, gerieten ins Visier.

Die Kammern können nach dem jetzigen System Verfassungsbeschwerden ablehnen, wenn diese keine grundsätzlichen Fragen aufwerfen oder keine Aussicht auf Erfolg haben. Andererseits kann der Dreierausschuß einer Verfassungsbeschwerde aber auch selbst stattgeben – wenn das Gericht die zugrunde liegende Frage bereits einmal geklärt hat. Die Kommission stellte fest, daß die Senate zuletzt nur noch rund 30 Verfahren pro Jahr entschieden. In den 70er Jahren waren es mehr als doppelt so viele. Die Kommission sieht die „Tendenz einer Verselbständigung der Kammerrechtsprechung“.

Die Reformkommission schlägt eine neue Regelung vor. Jede Verfassungsbeschwerde wird von zwei RichterInnen vorab geprüft. Die anderen RichterInnen können sich mit der Beschwerde beschäftigen. Nur wenn insgesamt drei RichterInnen die Klage für wichtig genug halten, kommt es zu einer Senatsentscheidung. Diese „Auswahlkompetenz“ des Gerichts ist dem Verfahren am amerikanischen Supreme Court nachempfunden. Nach Auffassung der Kommission muß hierfür jedoch das Grundgesetz geändert werden. Christian Rath

Kommentar Seite 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen