piwik no script img

„Da sind nur noch die, die bloß trinken“

Am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg kämpfen die Anwohner gegen die Verwahrlosung ihres Platzes. Je weniger Nischen und Freiräume es gibt, desto mehr nehmen Alkoholiker und Drogenabhängige, die Verlierer der Umstrukturierung des Bezirks, den Platz in Beschlag  ■ Von Tilman Weber

Wie ein kleiner Dschungel liegt der Platz da. Selbst jetzt im Winter schützt das dichte Geäst das erhöht liegende Parkplateau vor neugierigen Blicken. Auf der umlaufenden Straße können die Menschen nur erahnen, was sich über ihren Köpfen abspielt. Insbesondere dann, wenn die Männer vom Platz wieder genug getrunken haben und ihre Lautstärke auf Gruppengröße und Alkoholisierungsgrad schließen läßt.

„Auf den Platz geh' ich nich' mehr rauf“, sagt Lisbeth Skerra. Die 79jährige Rentnerin lebt seit 55 Jahren am Helmholtzplatz. Immer in denselben Zimmern im ersten Stock. Sie schaut auf den verwahrlosten Spielplatz mit Kletterhäuschen auf die Parkbänke rings um das kleine Trafohäuschen. Und als ob sie fürchte, irgendwer könne sie dort draußen hören, ergänzt sie ganz leise: „Da sind nur noch die, die bloß trinken.“ Vor denen haben Lisbeth Skerra und ihre Freundinnen vom Altentreff in der Dunckerstraße Angst.

30 bis 40 Menschen sind es, fast ausschließlich Männer, die sich täglich auf dem Platz aufhalten: Langzeitarbeitslose, Frührentner und gealterte Freaks, die nach der Wende aus Begeisterung für die große Hausbesetzerszene an den Helmholtzplatz gezogen waren. Fast alle sind Alkoholiker. Sie sitzen rings um das Trafohäuschen auf Bänken und Mäuerchen. Viele hat der Alkohol aggressiv gemacht. Ihr Lärm weht im Sommer die ganze Nacht über den Platz. Oft haben sie ihre Hunde mit dabei, deren lautes Gekläff in den dichten Gründerzeitfassaden ringsum wiederhallt.

So machen auch Mütter mit Kindern sowie Studenten mit akademischer Lektüre zunehmend größere Bögen um das Alkoholikerrevier. Deshalb hatten sie im „Kiezladen“ ein paar Häuser weiter bereits 1992 beschlossen, daß da was getan werden müsse: Gemeinsam mit Lisbeth Skerra hatten die Anwohner und andere aus der Nachbarschaft für eine Umgestaltung des Helmholtzplatzes votiert. Mehr Grün- und Rasenflächen. Und das Trafohäuschen von 1928 sollte so umgebaut werden, daß von dort aus ein Parkwächter für das geregelte Miteinander der verschiedenen Parknutzer sorgen kann.

Eigentlich ist das Héléne Bernards Idee. Die junge Französin hatte bis 1994 selbst auf dem „Helmi“ abgehangen. Zwei Jahre lang. Dann wurde ihr 1995 vom Sozialamt für ein halbes Jahr „Hilfe zur Arbeit“ finanziert: In dieser Zeit zeichnete die gelernte Architektin für den Sanierungsträger S.T.E.R.N. Pläne für einen erneuerten Park. Ihre Vision ist es, das Trafohäuschen für Bürgerfeste und Nachbarschaftsveranstaltungen zu öffnen. Dann, so hofft sie, werden die Alkis sehen, daß der Platz nicht ihnen alleine gehört.

„Der Platz ist die Lunge im Stadtteil“, sagt sie. „Jetzt aber ist die Lunge verstopft und muß wieder frei gemacht werden.“ Doch bisher scheiterten die Leute vom Verein „Bürgerkomitee“, der seit 1989 die Interessen von Mietern, Gewerbetreibenden und ehemaligen Hausbesetzern vertritt. Erst war ihnen das Projekt vom Senat aus den Händen gerissen worden, weil der in seiner Olympia-Euphorie 1993 eine Kette sanierter Grünanlagen plante – vom Treptower Park über den kleinen „Helmi“ bis nach Pankow. Jetzt ist das 4,2 Millionen Mark teure Umrüstungsvorhaben irgendwo im tiefen Haushaltsloch verschwunden.

Einmal, im Mai 1993, da hatten sie alle zusammen angepackt. Hand in Hand arbeiteten die einstigen Hausbesetzer, Nachbarn und die Trinker vom Platz zusammen. Da rissen sie die Betonwände ab, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg der Säulengang um das Trafohäuschen verschlossen wurde. Weil danach nichts weiter geschah, machten sich die Außenseiter den schutzbietenden Ort bald zu eigen.

Wie der Palästinenser Zamir. Er erinnert sich noch an die erfolgreiche Abrißaktion. Schon kurz vor dem Ende der DDR war er in einer der leerstehenden und langsam verrottenden Wohnungen am Helmholtzplatz untergekommen. Zamirs Stimme wird ganz weich, wenn er von den Zeiten der unzähligen Nischen erzählt, als jeder irgendwo nur einzuziehen brauchte und dann machen konnte, was er wollte. Jeden Abend, sagt er, hätten sie in den besetzten Häusern in der Schliemann- oder Dunckerstraße irgendwelche Parties gefeiert.

Irgendwann vor zwei Jahren hatte es ihn dann vom Balkon im zweiten Stock gehauen, als er stockbesoffen seiner Brille hinterherhechtete. Da war er mit dem Unterkiefer so glücklich auf den Gehsteig geknallt, daß er sich lediglich eine Reihe von Goldzähnen anschaffen mußte. Glücklich auch deshalb, weil Zamir seitdem eine Ausrede hat, warum er seinen Universitätsabschluß als Dolmetscher nicht machen konnte. Und er nie ohne eine Bierdose anzutreffen ist. Dennoch versichert Zamir: „Nächstes Jahr will ich mein Diplom machen.“

Die Szene auf dem „Helmi“ verelendet immer mehr. Manche sind längst auf harte Drogen umgestiegen. Sechs Herointote meldet die Drogenabteilung der Kriminalpolizei für 1997 im näheren Einzugsgebiet. Die Situation erscheint unerträglich. Im Sandkasten liegen neben Hundescheiße auch Scherben und gebrauchte Einwegspritzen. „Wir bräuchten eigentlich ein Minensuchgerät, bevor wir unsere Kinder dort in den Buddelkasten lassen“, sagt die Erzieherin der Kindertagesstätte in der Lettestraße.

Sozialpolitiker vor Ort sehen eine Tendenz. Weil sich im Sanierungsgebiet rings um den Helmholtzplatz die letzten Nischen schließen, wird der Park zunehmend einziger Versammlungsort für die Trinker im Kiez. Neue Bars am Helmholtzplatz künden vom sozialen Wandel, der die Räume für die Ausgestiegenen weiter verengt. Die penetrant auf mediterran und Indianerkulturen gestylten Kneipen heißen heute „O“, „Frieda Kahlo“ oder „Osswald“ und sind für die Outsider vom „Helmi“ ohnehin tabu. Selbst im ehemaligen Besetzertreff „Café Schliemann“ haben die meisten vom Platz Hausverbot.

Die rasant sich wandelnde Bevölkerungsstruktur im Kiez sorgt zusätzlich für soziale Entfremdung. Weit mehr als die Hälfte der gut 17.000 Bewohner sind erst nach der Wende zugezogen. Insbesondere Familien mit kleinen Kindern haben dagegen den Kiez verlassen. Die Zahl der unter sechsjährigen Kinder sank um mehr als 25 Prozent. Nach Ansicht des Politologen Matthias Bernt forcieren den Wandel gerade die Alleinstehenden oder die kinderlosen Paare, die sich mit ihrem gehobenen Einkommen eine schick sanierte Mehrraumwohung im neuen In- Kiez leisten können.

Aber auch langjährige Anwohner haben genug von qualmenden Lagerfeuern und lautstarken Beziehungskisten-Liveshows der Trafohaus-Runde. Ilona Steiner lebt schon seit 20 Jahren am Helmholtzplatz. Gemeinsam mit ihrem Mann Andreas hatte die Senatsangestellte anfangs zu den Rumhängern auf dem „Helmi“ gehalten. Doch jetzt sind die Steiners mit ihrer Solidarität am Ende. „Wir brauchen unseren Schlaf“, sagt Andreas Steiner. Und dann klagt er über die hohen Steuern, die die Doppelverdiener zahlen, und darüber, daß viele auf dem Platz vom Sozialamt Geld bekommen, um sich Alkohol zu kaufen. Bereits mehrmals hat Andreas Steiner sich beim Bezirksamt beschwert. Kurz vor Pfingsten dieses Jahres räumte die Polizei erstmals den Platz.

„Von einer schleichenden Abgrenzung“ spricht der Polizeieinsatzleiter vom Abschnitt 76, Frank Päthke. Seit zwei Jahren beobachte er, daß das Verständnis der Alteingesessenen schwinde. „Jetzt konzentrieren sich die, die Arbeit haben, darauf, daß sie ihre Arbeit behalten, und wollen von denen, die keine Arbeit haben, nicht gestört werden.“

Jens Oliva vom Bürgerkomitee beklagt derweil die fehlende Unterstützung durch das Bezirksamt. „Obwohl es hier viele Menschen gibt, die seit Jahren ehrenamtlich für eine bessere Situation auf dem Helmholtzplatz kämpfen, läßt man uns einfach nicht.“ Héléne Bernard hofft dennoch, daß sich ihre Mitstreiter im Kiezladen nicht entmutigen lassen. Nur knapp 400.000 Mark brauche es für den Umbau des Häuschens und eine sparsame Parksanierung – ohne neue Rasenflächen. Sie will die Hoffnung nicht aufgeben, daß der kleine Park Helmholtzplatz seiner Funktion als „Lunge“ wieder gerecht wird. Damit der Kiez wieder atmen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen