: Die Rumpelzüge fahren aufs Altenteil
■ S-Bahn-Signale stehen auf Zukunft: Heute wird die Lücke zwischen Neukölln und Treptow geschlossen, Erweiterungen auf drei Linien sind geplant. Im Gegensatz zur BVG boomt die S-Bahn, doch die Verkehrspl
Am Sonntag tut die Legende ihren tiefen letzten Schnaufer: In einer Sternfahrt versammeln sich die kantigen rot-ockerfarbenen alten S-Bahn-Züge am Ostkreuz, um auf der Fahrt ein letztes Mal beim Anfahren zu röhren, über die Gleise zu rumpeln und die Passagiere auf den Holzbänken durchzuschütteln. Nach dem Ehrentag mit Andenkenverkauf und großem Bahnhof schickt die S-Bahn die 70 Jahre alte „Baureihe 475“ aufs Abstellgleis.
Trotz der unvermeidlichen Nostalgie für die altehrwürdigen Bahnen, mit denen in den zwanziger Jahren das Zeitalter des elektrifizierten öffentlichen Nahverkehrs begann – das Signal ist klar: Die S-Bahn will weg vom Image der maroden Rumpelzüge mit bärbeißigen Abfertigungsbeamten und Ost-Charme. Das Unternehmen präsentiert sich als moderner Dienstleister. Dafür hat die Tochter der Deutschen Bahn AG groß eingekauft: Bis Jahresende sollen 100 nagelneue Züge in Betrieb genommen werden, insgesamt soll die Renovierung der S-Bahn- Flotte bis 2000 etwa 2,1 Milliarden Mark kosten.
Vor allem aber kann die S-Bahn Ende 1997 und während des Jahres 1998 mit neuen Strecken aufwarten, die das Netz von bisher 297 Kilometer Länge nicht nur um 15 Kilometer verlängern, sondern es an wichtigen Stellen weitaus attraktiver machen.
Wichtigster Schritt ist dabei die heutige Wiedereröffnung der Strecke zwischen den Bahnhöfen Neukölln und Treptower Park auf dem Südring. Endlich ist damit wieder die Fahrt vom Bahnhof Jungfernheide im Nordwesten bis zur Schönhauser Allee im Süden um die Innenstadt möglich. Die Schließung des S-Bahn-Rings im Norden wird allerdings noch bis ins Jahr 2000 dauern.
Am 16. Januar soll es per S-Bahn auch wieder ins Olympiastadion gehen. Rechtzeitig zum Start der Fußball-Bundesliga nach der Winterpause sollen die Transportmöglichkeiten auf der Schiene, die bislang nur durch die U-Bahn ermöglicht wurden, verdoppelt werden: 21.000 Passagiere können die S-Bahnen dann vom Westkreuz über Eichkamp, Heerstraße, Olympiastadion nach Pichelsberg transportieren. Ein Jahr später, so hofft S-Bahn-Sprecher Gottfried Köhler, soll die Strecke bis Spandau verlängert werden.
Ebenfalls 1998 steht die Verlängerung der S-Bahn-Strecke nach Lichterfelde-Süd bevor. Obwohl die Deutsche Bahn auf der Trasse ihr Planfeststellungsverfahren neu beginnen muß, sind die Hindernisse für die S-Bahn mit den Rechtsansprüchen von Alteigentümern laut Köhler ausgeräumt. Eine Verlängerung nach Treptow ist geplant, steht aber noch nicht fest.
Schließlich plant die Bahn für das nächste Jahr auch noch die Verlängerung ihres Streckennetzes von Tegel nach Hennigsdorf vor den Toren Berlins – eine Strecke, die der damalige Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) im Sommer 1995 rechtzeitig zum Wahlkampf und mit viel Medienbegleitung „eröffnete“, die Arbeiten nach der Wahl dann aber in aller Stille für weitere drei Jahre wieder beerdigte.
Das Beispiel zeigt ebenso wie die aktuelle Eröffnung der Strecke zwischen Neukölln und Treptow das Dilemma der S-Bahn: Zwar wachsen ihr im Gegensatz zur Konkurrentin BVG die Kunden zu – von 820.000 Passagieren täglich in 1994/95, als die Bahn die S-Bahn übernahm, hat das Unternehmen auf jetzt 950.000 Kunden ausgebaut. Zwar hat man mit 297 Kilometern ein großes Netz, und die Firma versucht ihren Angestellten die Einstellung eines Dienstleistungsunternehmens einzubimsen und das Beamten-Denken auszutreiben.
Doch die S-Bahn wird in ihren Expansions- und Verbesserungsvorschlägen von der Verkehrsverwaltung immer wieder gebremst. „Wir fahren da, wo das Land es bestellt und bezahlt“, meint Köhler lakonisch. Und mit der Lückenschließung in Treptow habe man „früher gerechnet“.
Das ist untertrieben. Denn es brauchte immerhin acht Jahre nach dem Mauerfall, um diese Ost- West-Verbindung wiederherzustellen. Für den grünen Verkehrspolitiker Michael Cramer ist die späte Eröffnung deshalb auch „ein verkehrspolitischer und deutschlandpolitischer Skandal“. Weil für die Verkehrsverwaltung die Planung der Autobahnverlängerung zum Ostkreuz Priorität gehabt habe, seien die Ausbaupläne für die S-Bahn so lange auf Eis gelegt worden. Auch beim Bahnhofsbau zeigt sich das Land Berlin knauserig: Der zwischen Köllnische Heide und Treptower Park geplante Bahnhof Kiefholzstraße wurde nicht gebaut, ebensowenig der Bahnhof Kolonnenstraße zwischen Schöneberg und Großgörschenstraße. „Wir sind nur die Betreibergesellschaft“, meint die S-Bahn: Was der Senat nicht bezahlt, bekommt er auch nicht geliefert.
Trotzdem plant das Unternehmen, im Jahr 2000 die tägliche Million an Fahrgästen zu erreichen. Einem Vorstoß dazu hat ebenfalls die Verkehrsverwaltung von Senator Jürgen Klemann einen Strich durch die Rechnung gemacht: Expreßzüge wie die geplante Verbindung nach Strausberg werden nicht genehmigt. Der wachsende Markt der Versorgung von Pendlern aus dem Umland in die Innenstadt soll der Regionalbahn, die von der Bahn AG betrieben wird, vorbehalten bleiben. Den Schönefeld-Expreß vom am Stadtrand gelegenen Flughafen in die Innenstadt kann die S-Bahn deshalb auch nicht bedienen. Bernhard Pötter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen