: Beruf: Körper
Vater, Sohn und Hans Albers oder die Einführung der Nachfolge im doppelten Sinn: Eine Ausstellung über Götz George, Schauspieler und aktueller Statthalter deutschen Abenteurertums, im Filmmuseum Potsdam ■ Von Nikolaus Merck
Im Filmmuseum Potsdam ist derzeit Gipfeltreffen deutschen Kerltums. Überlebensgroß, aber stilecht, mit Parka und bis zum Nabel entblößtem Brusthaar blickt im Erdgeschoß Götz George auf die Wallfahrtsstätte; über ihm, gleichsam im Himmel des ersten Stockwerkes, west der Geist des Urvaters aller deutschen Filmhelden im eigens für ihn eingerichteten, roten Plüschsalon. Es gibt keinen Ort, keine Fotografie, keine kommentierende Anmerkung, durch die sie zusammenfänden, aber doch sind sie Fleisch von einem Fleisch: Hans Albers, der Erfinder des blauen Blicks, und Götz George, Deutschlands derzeit liebster Haudraufundschluß.
Für die Götz-George-Schau hat Heide Draheim vom Filmmuseum Düsseldorf Fotografien, Produktionsunterlagen, Filmplakate sowie eine Handvoll Devotionalien zu einer Art Werkbiographie zusammengestellt und mit erläuternden Texten und Zitaten versehen. Ein Drama des begabten Kindes in drei Akten. Der Jungdarsteller der fünfziger Jahre: 1950, im Alter von zwölf in der ersten Hauptrolle auf der Bühne, an der Seite von 0. E. Hasse; das Filmdebüt drei Jahre später, akkompagniert von Magda und Romy Schneider. Der deutsche Strahlemann der sechziger Jahre, der in den wilden Karl-May- Westen zieht, weil ihm der Ausbruch ins Charakterfach mangels geeigneter Rollen mißlingt. In den siebziger Jahren, nach dem Mord an Opas Kino in Oberhausen, der Karriereknick, und schließlich die herrliche Wiedergeburt als Fernsehkommissar Schimanski und Charakterspieler im deutschen Unterhaltungskino der achtziger Jahre.
„Anspruch und Herausforderung“, nennt der bärtige Held sein halblebenslanges Handicap. Eine unscheinbare Fotografie zeigt den Scheffel, unter den der Jungmime sein Licht gestellt sah. Hinter der einträchtig mit Sohn Götz vom Sofa lächelnden Berta Drews blickt Übervater Heinrich George drohend vom voluminösen Ölschinken. Neben Gustaf Gründgens und Werner Krauss war George sen. der gewichtigste deutsche Schauspieler der zwanziger bis vierziger Jahre. Will man den Memoiren der Drews Glauben schenken: ein Mann wie ein Vulkan. Der mit einer silbernen Austernschale um sich warf, wenn die Geliebte das Rendezvous verpaßte.
Der Sprung aus dem Vater- Schatten wird für den jüngeren George zum Eintritt in eine doppelte Nachfolge. Sie zeichnet sich just in dem Moment ab, als Hans Albers, der Statthalter deutschen Abenteurertums, 1960 beinahe 70jährig zu Grabe getragen wird. 1959 reckt George jun. in „Das Haus in Kamerun“ seine nackte Brust der Sonne entgegen. Fortan wird er den zusehends trainierten Körper mit Aplomb an jede Rampe werfen. Gewichtig wie der alte George, aber mit den athletischen Mitteln und den romantischen Zielen von Albers. Das Erfolgsrezept von jeher. Daß auch der Darsteller selbst begreift: „Mein Beruf ist mein body.“ Er meint es zwar andersrum, aber Recht hat er trotzdem. Die Heldenrezeptur stammt aus den USA.
Der Gefühlsathlet im Großstadtdschungel tritt in Deutschland erstmals zu Beginn der dreißiger Jahre in Aktion. Vorbedingung ist die Entdeckung des Sprechens im Film. Die schafft Hans Albers 1929 mit der Kehrichtschaufel: nuscheln, stöhnen, Töne machen. Das ist damals neu, so neu wie der Tonfilm. Natürlichkeit in der Darstellung bei gleichzeitiger Sprengung der realistischen Ketten des Plots, vom Albersschen „Hoppla, jetzt komm' ich“ bis zu Schimanskis „Scheeiiße“ bleibt die einmal erfolgreich gestrickte Masche. Der Kerl, der alle beamtete Autorität mit Kodderschnauze zerrüttet, und nie den Sprung in jede Bresche scheut, mit vollem Karacho und Einsatz. Wie George war auch Albers kein Schiff zu hoch, kein Abgrund zu tief, sich nicht als eigener Stuntman kopfüber hinabzustürzen.
„Der Sieger“, „Der Greifer“, „Der Draufgänger“ – so heißen die Filme, mit denen Albers kurz vor Machtantritt Hitlers in Deutschland Furore macht und zum Publikumsliebling Nr. 1 avanciert. Heute geht's ironischer zu, aber wie vor sechzig Jahren kommt der Held noch immer aus kleinen Verhältnissen, leiht den Mädchen gern seine starke Schulter, tröstet hingebungsvoll, hält sie warm oder steckt sie im Handumdrehen ins Bett. Alice Schwarzer macht der Harmlosigkeit des Typus die Kronzeugin: „Im besten Sinn unmännlich, der Kumpel, der große Bruder, auf den man sich verlassen kann“, ausgestattet zudem „mit einer gewissen Selbstironie“. Wenn die allerdings wegfällt, zeigt sich, was die Sehnsucht im Kern enthält: der geborene Führer. Wie ihn Albers 1933 im Nazipropaganda- Streifen „Flüchtlinge“ gestiefelt und gespornt, mit bellendem Kommandoton darstellte. Unter anderen politischen Vorzeichen zeigt Georges Schimanski auf den demokratischen Pol der Figur. Aus dem Polizeidienst entlassen, ist er, von Genregesetzen befreit, bei sich selbst angekommen – im Traumland der Angestellten, wo er der verwalteten Welt mit Faust und goldenem Herzen noch je um je ein Schnippchen schlägt.
Filmmuseum Potsdam, Marstall, Dienstag bis Freitag 10–17 Uhr, Samstag und Sonntag bis 18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen