Neue Galgenfrist für Abtreibungsärzte

Verfassungsgericht verlängert eine einstweilige Anordnung gegen das bayerische Verbot von Abtreibungskliniken um weitere sechs Monate. Ausgang der Verfassungsbeschwerde zweier Ärzte ist völlig offen  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Die bayerischen Abtreibungsärzte Friedrich Stapf (München) und Andreas Freudemann (Nürnberg) haben eine weitere Galgenfrist erhalten. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verlängerte gestern seine einstweilige Anordnung gegen das neue bayerische Abtreibungsrecht um maximal sechs Monate. Das im Sommer in Kraft getretene Gesetz sah faktisch ein Verbot spezialisierter Abbruchkliniken vor.

Stapf und Freudemann, die sich erst Anfang der 90er Jahre mit ihren Praxen in Bayern niederließen, führen heute rund 60 Prozent der etwa 12.000 bayerischen Schwangerschaftsunterbrechungen durch. Nach dem neuen Gesetz dürften sie aber nur 25 Prozent ihrer Einkünfte mit den Eingriffen verdienen. Das wäre das Aus für die beiden Spezialkliniken. Deshalb erhoben die beiden Ärzte aus Bayern Verfassungsbeschwerde.

Im Juni billigte ihnen der Erste Senat einstweiligen Bestandsschutz zu, bis über ihre Beschwerden endgültig entschieden ist. Begründet wurde dies damals vor allem damit, daß sonst in Bayern entgegen dem Bundesrecht kein ausreichendes Angebot an ambulanten Abbruchmöglichkeiten gegeben sei.

Um eine Verlängerung der einstweiligen Anordnung zu verhindern, legte Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) im November neue Zahlen vor. Danach hätten sich 96 Ärzte und 31 Krankenhäuser auf Anfrage zu jährlich 15.000 ambulanten Abbrüchen bereit erklärt.

Freudemanns Anwältin Christine Roth kritisierte die Angaben als „geradezu abenteuerliche Hochrechnung“. Das Verfassungsgericht erkannte zwar die bayerischen Bemühungen an. Die Münchener Staatsregierung könne jedoch, so Karlsruhe, durchaus noch bis zur „alsbald“ fallenden Entscheidung über die Verfassungsbeschwerden warten. Ein genauer Termin für das Urteil steht allerdings noch nicht fest. Das Gericht überlegt, ob eine mündliche Verhandlung erforderlich ist. Das Ergebnis ist völlig offen. Aus der gestrigen Begründung sind jedenfalls keine Hinweise herauszulesen, wie der Senat am Ende entscheiden wird. Die Sache ist auch deshalb so heikel, weil es im Fall der beiden Ärzte Stapf und Freudemann zu einem neuen Streit zwischen Erstem und Zweitem Senat kommen könnte.

Angenommen, der liberalere Erste Senat hält das Verbot von spezialisierten Abtreibungskliniken für verfassungswidrig, so wäre dies eine neue Ohrfeige für den Zweiten Senat. Dieser hatte in einer Nebenbemerkung seines Abtreibungsurteils von 1993 nämlich den von Bayern aufgegriffenen Weg vorgeschlagen.