Bremer Gewerbefleiß

■ Unzünftig: Der Aufbruch in die Freiheit

Die Geschichte des Bremer Gewerbes endet 1855. Schlagartig dünnen sich seither Archiveintragungen über das Bremer Kleingewerbe aus. Was ist passiert – verdrängte die Industrie das Handwerk aus den Souterrains der Handelsstadt? Das Gegenteil war der Fall. Vor 140 Jahren boomte das Bremer Handwerk, Existenzgründungen waren an der Tagesordnung – allein zwischen Dobben und Wallanlagen machten sich mehr als 15 Tischlerbetriebe schärfste Konkurrenz.

Jetzt durften sie nämlich: 1855 war das Jahr der Gewerbefreiheit in Bremen. 700 Jahre Zunftwesen, in denen jede Veränderung eifersüchtig notiert worden war, wurden zu den Akten gelegt. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit endet die gewerbliche Geschichtsschreibung.

Die Darstellung der Bremer Kleinbetriebe ist seither dünn gesät. Der Sampler „Gewerbefleiß“schlägt in diese historiographische Brache ein paar Trampelpfade.

Seine fünf AutorInnen berichten von der Steingutfabrik Witteburg in Farge. Von den frühen Kaffeeröstereien und Bürstenfabriken am Steintor und der Firma Schäfer im Fehrfeld, ihres Zeichens Hersteller von jugendstiligen Rauchsalons für die Dampfschiffahrt. Von der Lage der Bremer Bäckergesellen vor dem ersten Weltkrieg und der Geschichte der Damenschneiderinnen, die in den 20er Jahren eine eigene Innung hatten – nebst Erholungsheim in Lilienthal.

Das liest sich nicht immer wie ein Zola, bleibt aber erfrischend konkret in der Bemühung, Fragen von 1997 her mit in das Archiv zu nehmen. Nahezu feuilletonistisch zu lesen ist der kleine Bericht von Uta Stolle über den „Fortschritt und die Schornsteinfeger“– jenes Gewerbe, das mit den Hexen die Schlote aufstieg und noch heute dem Zunftwesen anhängt. ritz

Gewerbefleiß. Handwerk, Klein- und Mittelbetriebe seit 1850. Hrsg.: Dorothea Schmidt. Edition Temmen, Bremen, 260 Seiten, 19,80 Mark