piwik no script img

Das Antlitz der ersten Apfelsine

■ Eckhard Twistel hat Wunderliches aus „Dr. Hamms Naturkundliche Chronik Nordwestdeutschlands“illustriert

Im Jahre 1525 flogen Bienen von den Zinnen Schloß Hohensteins. Samt Bienenkörben landeten sie durch gezielten Wurf der SchloßbewohnerInnen auf den Köpfen aufständischer Bauern und trieben diese so in die Flucht. Ökologische Kriegsführung – durchaus begrüßenswert – im Dienst der Reaktion – wie schändlich.

Nichtsdestotrotz ein unbedingt bemerkenswertes Detail nordwestdeutscher Geschichte. Woher wir davon wissen? Nun, steht alles grün, rot, und schwarz auf weiß in Eckhard Twistels wunderschön bebildertem Buch „Allerlei wunderliche Begebenheiten aus Dr. F. Hamms Naturkundlicher Chronik Nordwestdeutschlands“.

Über 40 ähnlich bedeutende Highlights hat der 28jährige Kunststudent Twistel aus Dr. Hamms 1960 erstmals veröffentlichter, 2.000 Eintragungen umfassender Chronik herausgefiltert und detailreich illustriert. So erfahren wir unter anderem, daß einst ständig gemeine Sturmfluten durch Friesland schwappten, daß im Sommer 1473 die Leute notgedrungen dauerbetrunken waren, weil aufgrund extremer Hitze Wasser teurer war als Wein, und daß es den BewohnerInnen Aurichs im Jahre 1560 vergönnt war, das Antlitz der ersten Apfelsine in Nordwestdeutschland bewundern zu dürfen.

Eigentlich sind es zwei Bücher in einem: Durch Eckhard Twistels sehr eigene Interpretation der skurrilen historischen Daten, die der Autor und Graphiker handschriftlich über oder neben seine Illustrationen gesetzt hat, kann nicht nur der chronische Lokalpatriot sein Wissen erweitern. Auch der kulturbanausige Analphabet hat allen Grund dazu, die 30 Seiten zu durchblättern, weil die Bilder sehr schön sind und jedes für sich eine ganz eigene, häufig nicht weniger skurrile Geschichte erzählt.

Wer weder Lokalpatrioten noch Analphabeten kennt, kann das Buch trotzdem verschenken. Entweder, so weit er Bremensien mag, an sich selbst, oder an bibliophile Menschen, die gerne in originellen und opulent gestalteten Kunstbüchern schmökern. Twistels Arbeit, die ursprünglich als Seminararbeit an der Bremer Hochschule für Künste entstanden ist, wurde in einem aufwendigen Offsetdruckverfahren hergestellt. Jede Druckvorlage hat Twistel eigenhändig coloriert.

Offenbar, wie nicht nur wir finden, mit beeindruckendem Erfolg: Der „Art Directors Club“hat Eckhard Twistel für das Buch als hoffnungsvollen Nachwuchsillustrator ausgezeichnet. zott

„Allerlei wunderliche Begebenheiten aus Dr. F. Hamms Naturkundlicher Chronik Nordwestdeutschlands, versammelt und schön illustriert von E. Twistel“, erschienen in der Bunten Reihe der Bremer Verlagsbuchhandlung „Achilla Press“, 30 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen