Kissenpupen tut nicht gut

■ Shakespeares Komödie „Verlorene Liebesmüh“feierte im Theater am Leibnizplatz eine umjubelte Premiere

Wer, wie die edlen Herren um den König von Navarra, ein kluger Philosoph werden will, der entsagt zwangsläufig dem lästerlichen Getriebe der Welt und frönt dem harten platonischen Ideal der Enthaltsamkeit. No sex, no drugs, und auch kein Rock'n'Roll: Diese modern formulierte, karge „Weisheit“ist alten Ursprungs und kam schon vor mehr als 400 Jahren in der schmucken Formulierung „Studier'n, nicht Damen sehn, nicht essen und nicht ruhn!“daher.

Wollen wir gnädig über den patriarchalen Duktus dieser Zeilen hinwegsehen: Auf jeden Fall vergrätzt dieses klassische Bildungsideal derart seit Menschengedenken jeden Zugang zum lustvollen Wissensgewinn. „Da ist man“, bemerkt der Edelmann Berowne, „qualvoll in ein Buch gekrochen / Wo man der Wahrheit Licht zu finden glaubt“, und trotz dieses Aufwandes dämmert schon früh die trübe Einsicht: „Was haben emsige Büffler je gewonnen / Als fremde Weisheit aus Foliantenmief?“Wahr gesprochen, junger Freund! Dennoch, Berowne unterschreibt das königliche Dekret, das ihn ebenso wie Longaville, Dumain und Armado für drei Jahre zur totalen Askese verdonnert. Doch wo Prinzipien kategorisch mahnen, ist die Versuchung nicht fern. Und von dieser – ebenfalls klassischen – Opposition handelt William Shakespeares 1594 geschriebene Komödie „Verlorene Liebesmüh“, mit dem die Shakespeare Company im Theater am Leibnizplatz seine dritte Premiere der Spielzeit bestritt.

Wo der Tabubruch lauert, sind Frauen bekanntlich nicht fern. Nun ja ... . Drei an der Zahl, bildhübsche Französinnen noch dazu, nähern sich dem spanischen Hof und bedingen, kaum daß ihr Antlitz von den Möchtegernphilosophen gesehen ward, bei den Herren kräftige Hormonstaus. Im Laufe des dreistündigen Stücks bietet das viel Raum für verwickelte Liebesbekundungen. Der König (Sebastian Kautz) liebt die Prinzessin (Sylvia Kühn), Berowne (Erik Roßbander) betet Rosaline (Susanne Höhne) an, Longaville (Peter Lüchinger) wiederum hat ein Auge auf Maria (Annette Ziellenbach) geworfen, Armado (Peter Lüchinger) eines auf das Bauernmädchen Jaquenetta (Annette Ziellenbach). So übersichtlich bleibt es nicht. In der dritten Stunde, in der Verwechslungen und Verkleidungen die Sinne verwirren, geht schon mal der Überblick darüber verloren, wer da nun wen begehrt. Was aber unter anderem auch daran liegt, daß einige langatmige Sequenzen in der zwischen prallem Spektakel und schnöder Konvention changierenden Inszenierung des Regisseurs Andrés Pérez Araya die Kondition des Betrachtenden auf eine harte Probe stellen.

Entschädigt wird man jedoch durch die durchweg ausgezeichneten schauspielerischen Leistungen. Insbesondere die neuen Ensemblemitglieder Sebastian Kautz (als König und Schulmeister Holofernes) und Sylvia Kühn (als Prinzessin und vor allem als Kaplan Nathaniel) beeindrucken durch die Sicherheit, mit der sie selbst die abgedrehtesten Klamaukszenen – und davon gibt es reichlich zu sehen – souverän an der Peinlichkeit vorbeischiffen. Und Peter Lüchinger spielt den überkandidelt-abgewrackten Armado so eindrucksvoll, daß allein ein längerer Blick auf ihn genügt, um zu wissen, daß asketische Enthaltsamkeit nur was für vertrocknete Kissenpuper ist, wie sie später vor allem im Raum Königsberg anzutreffen waren.

Aber es hilft alles nichts: Trotz Blues- und Rock'n'Rollgesangseinlagen, Heinoimitationen, Staubwedelhunden auf der Jagd nach Plüschhasen und Fahrrädern, die wie Pferde wiehern, „Verlorene Liebesmüh“kann nicht verheimlichen, daß sie eine angestaubte, nur mäßig interessante Komödie ist. Die Inszenierung der Shakespeare Company macht noch das Beste daraus – sofern man dem trashigen Charme, den sie versprüht, nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Entweder Kultshow oder Megaflop: Für beide Extremwertungen liefert „Verlorene Liebesmüh“einiges an Material. Das Premierenpublikum spendete minutenlangen Applaus: Also doch Kult? Man kann auch ganz anderer Meinung sein. zott

die nächsten Aufführungen: 20., 22., 27. Dezember um 19.30 Uhr; 21., 26. u. 28. Dezember um 18 Uhr