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Unerhörte Stille

Eine Wanderung mit Kamelen durch die tunesische Wüste. Geborgen in der Gruppe, versorgt von kundigen Führern ... und abends tanzt Heinz  ■ Von Edith Kresta

Alis harter Hüftschwung und stampfender Fuß geben den Rhythmus vor. „Wochaaah!“ Sein kehliger Schrei feuert selbst Kamele an. Der Laut dringt durch, setzt sich fest. Ali ist der Tänzer, der King des Wüstenrhythmus. Mohammed und Mabrouk trommeln auf der großen Blechschüssel, die anderen begleiten abwechselnd den rhythmischen Gesang. Gruppenhit ist das Lied vom „Sidi Mansour“. Es ist melodischer als die anderen Lieder, eingängiger für europäische Ohren.

Ali, Ali, Mohammed, Mohammed, Mabrouk, Taher und Hamadi sind Mädchen für alles: Wüstenführer, Kameltreiber, Packer, Köche, Animateure. Morgens laden sie Proviant, Taschen, Zelte und Touristen auf die Kamele. Tagsüber wandern sie, das Kamel am Zügel, durch die tunesische Wüste. Stundenlang. In gleichmäßig zügigem Rhythmus. Meist barfuß. Morgens, mittags und abends bereiten sie das Essen für 21 Personen. Am Spätnachmittag wird am Rastplatz für die Nacht abgepackt, aufgebaut, gekocht. Und abends unterhalten die sieben Führer 14 Wüstenschnupperer aus Deutschland mit ihren erdigen Gesängen und Trommelschlägen.

Was für die Führer schlecht bezahlte Arbeit ist – die Rundum- Touristenbetreuung auf einer Méharée, einer Wüstenwanderung mit Kamelen –, bekommt an manchen Abenden eine Eigendynamik: Tunesische Kamelführer und deutsche Kamelmieter amüsieren sich gemeinsam am Lagerfeuer. Alis „Wochaaah“ wird dann noch kehliger, kratziger, der Trommelrhythmus schneller, und der deutsche Vortänzer, der Finanzbeamte Heinz aus Freiburg, mit dem Ali allabendlich die Tanzrunde um das Lagerfeuer eröffnet, dreht sich wie ein Derwisch. Pausenlos. Wie Ali. Hier tanzt Mann mit Mann. Die Frauen sind eine gern gesehene Zugabe. Wüstenromantik pur: Über uns nur die Sterne und der zunehmende Mond, um uns sandige Weite, unerhörte Stille. Lästige Skorpione unter uns hat Alis stampfender Fuß längst vertrieben.

In einer Gruppe von 21 Personen ist die Wüste nicht einsam. Geborgen im Schoß der Gruppe und unter kundiger Führung der Einheimischen, ist unser fünftägiger Wüste-pur-Trip eine veritable Sightseeing-Tour. Ungewöhnlich und faszinierend, bequem und angstfrei. Sicherlich kostet es Überwindung, aus den braun- schwarz verfärbten grauen Plastikbechern, die die Führer reichen, zu trinken. Doch der Tee ist heiß, das Wasser stets abgekocht. Und ein mehrstündiger Ritt oder Marsch durch Dünen und Savannen macht durstig und hungrig. Auch wenn tagsüber scharenweise Fliegen die Töpfe umkreisen. Im November ist die Sahara zwar erträglich, doch Kamelwandern bei 35 Grad im Schatten ermüdet.

Zur Mittagszeit liegt die Wüste in flirrend gleißendem Licht. Schattenplätze sind rar. Nur ein Tuch oder Hut schützen vor der brennenden Sonne zur Mittagsrast. Ein kurzer Mittagsschlaf gegen die Müdigkeit. Unsere Führer, mit dem Klima vertraut, vergnügen sich derweil beim Herunterrollen von einer besonders hohen Sanddüne. Im pudrig-feinen Wüstensand ist dieser Sport zur Nachahmung dringend empfehlenswert.

Unsere Tour beginnt südlich von Douz und führt uns zur Oase Ksar Ghilane. Wir ziehen in einem Bogen tiefer in die tunesische Wüste. Deren Ränder hat der Tagestourismus fest im Griff. Die sandige Einöde ist beliebte Abwechslung vom zweiwöchigen Pauschalurlaub an den Stränden auf Djerba oder in Sousse. Hier übt sich mancher Tourist in der Geländefahrt. Hier reiten ganze Busladungen von Tunesienurlaubern für einen Tag auf Kamelen in die Wüste, um das Leben der Beduinen zu schnuppern. Ali, Mabrouk und die anderen begleiten das ganze Jahr über diese kleinen Rundwanderungen. Wir wagen uns weiter vor, lassen die letzten Jeepspuren hinter uns und dürfen uns als einsame Karawane fühlen. Ohne Jeeplärm und touristische Infrastruktur.

Steinige Ebenen, wo trockenes Gesträuch wächst, wechseln sich mit Dünengürteln ab. Der Sand scheint lebendig. Vom Wind getrieben und sich dabei ständig selbst reproduzierend, wandern die Dünen mehrere hundert Meter pro Jahr. Es ist ein herrliches Gefühl, barfuß über die Dünen zu laufen. Die weite Dünenlandschaft schmeichelt den Füßen und dem Blick. Weich und anschmiegsam. Zum reinschmeißen. Manchmal ragt überraschend ein grüner Strauch aus einem Dünenkamm. Kein Dünengürtel gleicht dem anderen. Formation, Höhe und Farbe ändern sich andauernd. Der Wind hat wechselvolle Muster in den Wüstensand gezeichnet. Morgens, aber vor allem am späten Nachmittag, wenn die Sonne tief steht, gibt es die stärksten Kontraste. Kalte, weiße Dünenwellen an der von der Sonne abgewandten Seite gehen in warme, ockerfarbene oder zartrosafarbene Dünen an der Sonnenseite über. Im Gegenlicht der untergehenden Sonne nehmen die vor sich hin trabenden Kamele manchmal Form und Farbe der Dünen an, manchmal sehen sie aus wie urzeitliche Dinosaurier.

Die Wüste steht für Einsamkeit, Kontemplation, Schweigen und ein Gefühl der Zeitlosigkeit. Kontrapunkt zum technisierten Alltag. Erholung für das überreizte Gemüt. Bernd, der Staatsanwalt aus Frankfurt, ist begeistert. „Die brauchen kein Fernsehen“, stellt er nachdenklich fest, als wir abends in der gesprächigen Runde unserer Führer sitzen. Zweifelnd fragen wir Mabrouk, welche Programme er am liebsten sieht. „Mit Abstand am liebsten das französische“, antwortet er, „dann italienisches und manchmal ägyptische Filme.“ Mit seiner Parabolantenne habe er reichlich Auswahl.

Mabrouk, der Chef, spricht am besten Französisch von unseren Begleitern. Er hat als einziger die Schule besucht. Auch Mohammed, mein Kamelführer, kann einige Brocken Französisch. Das Wüstenleben, erzählt er, gefalle ihm schon, vor allem die Stille. Aber eigentlich träumt er davon, nach Deutschland auszuwandern. Als Kind zog er im Frühjahr und Herbst mit seiner Familie in die Wüste, um Ziegen, Schafe und Kamele zu weiden. Inzwischen leben er und seine Familie in Safrane. Umgeben von Dünen, ist das Dorf im Süden Tunesiens Kamelsammelplatz und Anlaufstelle für den Tagesausflug in die Wüste. Datteln und der Verdienst als Touristenführer sind Mohammeds bescheidene Einkommensquelle. In Tunesien gibt es keine Nomaden mehr. Die Schulpflicht hat diese Lebensweise in den sechziger Jahren endgültig verdrängt. Allenfalls wenige Wochen im Jahr ziehen einige Familien noch mit ihren Tieren in die Wüste.

Ali ben Mohammed, der dünne Alte mit dem weißen Schnurrbart, kennt sich am besten aus. Die meiste Zeit seines Lebens hat er in der Wüste verbracht. Ali findet immer die besten Übernachtungsplätze. Als ein Sandsturm den Himmel und die Sonne verdunkelt, peilt er gezielt einen einigermaßen schützenden Dünengürtel an. Die leichten Igluzelte halten den kräftigen Windstößen kaum Stand, doch mit Sand, Ästen und der Hilfe von Ali und den anderen schaffen wir es, die Zelte krumm und schief aufzubauen. Mohammed, der Fromme, der einzige, der sichtlich die im Koran vorgeschriebenen Gebete einhält, verschreckt Claudia. Er bietet der Geschäftsführerin einer großen Hotelkette an, diese Nacht in ihrem Zelt zu übernachten. So beschwert, hält es dem Wind sicher besser stand. Claudia weist das Angebot des siebenmaligen Vaters entrüstet zurück. Der Wind legt sich zur Abendstunde ohnehin.

Die Tage fließen ineinander. Sind wir zwei oder vier Tage unterwegs? Seliges schaukeln auf Kamelrücken – selbstvergessenes Wandern im weichen Sand. Innere Knoten lösen sich, verspannt sind allenfalls Bein- und Pomuskeln. Weder die Landschaft noch der Tagesablauf bieten einschneidende Anhaltspunkte. Auch die Mahlzeiten gehen ineinander über. Rote Soßen und grüner Tee sind das Hauptmerkmal unserer Wüstenküche. Rote Tomatensoßen in der Variation von tunesischer Suppe, Djorba, als Couscous, Goulasch oder Makkaroni serviert, zubereitet überm offenen Feuer in den zwei mitgeführten Couscous- Töpfen.

Wer dem seit Tagen mitgeführten Fleisch mißtraut und deshalb auf den Hauptgang verzichtet, tut sich am Brot gütlich. Den Teig für das wagenradgroße Brot knetet der Tänzer Ali aus Wasser, Mehl und Salz. Gebacken wird es in der Glut des heruntergebrannten Feuers. Das glutfrische Brot schmeckt besonders gut.

Die Begegnung mit einer Kamelherde an der Wasserstelle el Mida bricht den gleichförmigen Zeitfluß. Wir füllen die Gummiwassersäcke mit Wasser. Jeder bekommt zwei Liter des abgestandenen Wassers pro Tag. Auch die darin aufgelösten Vitamintabletten überdecken den schlechten Geschmack kaum. Der abgekochte süße, grüne Tee ist eine Erlösung.

Beim Wandern durch die Wüste drängen sich biblische Bilder auf: vom Stall in Bethlehem, von den drei Königen, vom Auszug aus Ägypten... Kein Wunder, daß die savannenartige Ebene um el Mida vor allem zur Weihnachtszeit von europäischen Touristen besucht wird.

Die Wüste als Naturbühne, Weihnachten im Morgenland. „Mit Wein, gutem Essen, Musik und Tanz wird ringsum Weihnachten gefeiert“, erzählt Mabrouk. Er nimmt gern an diesem christlichen „Fest der Liebe“ teil, das die Agentur, mit der er arbeitet, als Weihnachtsausflug im Programm führt. „Die Leute sind dann irgendwie großzügiger“, findet er.

Motorrollerspuren im Sand künden kein Dorf, sondern Jäger an. Die Motorroller, auf Kamele gebunden, ziehen die Jäger über Dünen in die Ebene, um Gazellen zu jagen. Gazellenjagd ist in Tunesien offiziell verboten. Nachts werden die Tiere mit den Fahrzeugen aufgeschreckt, mit den Scheinwerfern geblendet und abgeknallt. Die Gazelle ist eine begehrte, besonders schmackhafte Beute.

Ankunft in der Oase Ksar Ghilane: Wasser, Palmengärten, Campingplätze, Jeeps, Souvenirläden, der Abfall am Wüstenrand, Bier, Wein, man spricht deutsch – die touristische Infrastruktur hat uns wieder. Heinz, der Finanzbeamte aus Freiburg, ist entsetzt, als er dem ersten hupenden Touristenjeep begegnet. Aufgeschreckt springt er zurück in unser Lager am Rande der Wüste. So entgeht Heinz das Bad in den von Touristen gut besuchten heißen Thermalquellen von Ksar Ghilane. Nach den wasserarmen Tagen in der Wüste ist das Bad in den warmen Becken ein Hochgenuß. Es entschädigt für die entgangene Körperhygiene der letzten Tage. Wohlig stimmt es uns wieder auf den selbstverständlichen Umgang mit Wasser nebst Kulturbeutel ein. Am nächsten Tag tauschen wir die Kamele gegen den Jeep.

Abschied von unserer Wüstenidylle. „Meine Batterie ist wieder voll aufgeladen“, sagt Gabi, die Opernsängerin aus Wien. Bernd, der Staatsanwalt aus Frankfurt, weint. Die Touristenkarawane zieht weiter.

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