■ Vorschlag
: Plumper Leib: die bösen Skulpturen und Bilder von Jana Grzimek

„Karlchen“ heißt der Mensch, der im Schaufenster hockt – massiv und schwerfällig, ganz mit sich selbst beschäftigt, genauer gesagt, mit seinem Penis, den er fest im Griff hat. Den großen Kerl aus Bronze gibt es ein zweites Mal als Kleinplastik in der Vitrine, dazu manch anderes Volk: geformt aus Fayence, meist reduziert auf den Kopf. Andeutungen von Schulter und Brust bieten genügend Standfläche, mal sind auch Gliedstummel erkennbar, die flügelartig aufsitzen.

Hervorgebracht hat diese Geschöpfe Jana Grzimek (geb. 1964), Tochter des Bildhauers Waldemar Grzimek, ehemals Schülerin von Waldemar Otto. Der Mensch als Maß aller Dinge, das ist auch für die figürlich arbeitende Bildhauerin fragwürdig geworden. Sie hält zwar am Menschen fest, aber er erscheint auf merkwürdige Weise in seiner Nacktheit entfremdet. Sein Leib ist plump, wirkt hart, leblos und eher animalisch. Ein als „Tanz“ ausgewiesener weiblicher Akt erstarrt in seiner Drehbewegung, ein „Stürzender Engel“ sinkt kraftlos herab, und „Luigi Avanti“ zeigt einen sich müde aufbäumenden Mann mit gekappten Armen und Beinen.

Grzimek bedient sich häufig des Torsos, ohne das Fragmentarische als Steigerung eines Körperideals zu nutzen. Es bedeutet vielmehr Verstümmelung, nicht körperliche, sondern psychisch-soziale. Sie läßt die Dargestellten, deren Gesichter meist auf Porträts zurückgehen, als Versehrte und Gehemmte erscheinen. Der häufig genutzte weiße Gips hat etwas Bläßliches, die Farbbeimischungen beleben nicht, sondern machen noch kränklicher; Arbeitsspuren von Feile und Raspel schneiden sich wie Kerben ins fahle Fleisch. In Werken wie „Metamorphosen Klassisch“ gehen die Deformierungen ins Surreale, sitzt je ein weiblicher Kopf auf einem kleinen, fischähnlichen Leib; Blut quillt aus einem Armstumpf, kapselartige Knopsen sprießen aus Körperenden oder einem Kopf, der an Stelle einer Hand sitzt.

Das Eingesperrtsein in sich selbst, das Unvermögen zur Kommunikation, macht Grzimeks Gestalten böse und unheimlich, aber auch hilflos, grotesk, komisch – mehr Irritation als Verletzung. Zu den Skulpturen kommt eine Reihe von Gemälden, alle in diesem Jahr entstanden. Grzimek hat sich ein neues Gebiet erobert, malt brutal, aber sensibel und in kräftigen Farben ein unentwirrbares Geschlinge aus Leibern, Gesichtern, Monstern. Es ist eine heillose Welt, in der sich die stummen Wesen tummeln. Michael Nungesser

Bis 24.1., Mo–Fr 11–19, Sa 11–15 Uhr, Bildhauergalerie Messer- Ludwig, Nollendorfstraße 15