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Weniger Tote und mehr Unfälle

■ Noch immer leben Fußgänger am gefährlichsten. Fahrradfahrer wehren sich gegen die „Rüpelradler-Kampagne“ der Polizei

Fußgänger leben in Berlin noch immer gefährlicher als Autofahrer. Zwar hat die Anzahl der Verkehrstoten 1997 gegenüber den Vorjahren weiter abgenommen. Nach wie vor stellen Fußgänger jedoch den größten Teil der Unfallopfer. Von den 85 Verkehrstoten, die die Polizei bis Ende Oktober 1997 zählte, waren 37 Fußgänger, 17 Radfahrer, 7 Motorradfahrer und 3 Kinder. Die Zahl der tödlich verunglückten Autofahrer beträgt 21.

Die im Vergleich zu anderen Bundesländern hohe Zahl der tödlich verunglückten Fußgänger und Radfahrer bezeichnete Karsten Schlüter, bei der Landesschutzpolizei für verkehrspolizeiliche Grundsatzangelegenheiten zuständig, als „Berliner Phänomen“. Dazu gehöre auch, daß unter den getöteten Fußgängern die Zahl der Senioren mit 26 besonders hoch ist. Schlüter betonte deshalb, bei der Arbeit der Polizei künftig die „Schwächsten im Straßenverkehr“ noch besser schützen zu wollen.

Gleichwohl sind nach Angaben der Polizei oftmals die Fußgänger und Fahrradfahrer selbst Verursacher schwerer und tödlicher Verkehsunfälle. Bei den 2.887 Unfällen mit Fußgängerbeteiligung, sagt Schutzpolizist Schlüter, haben in 1.542 Fällen die Fußgänger den Unfall verursacht. In weiteren 246 Fällen habe Fußgänger eine Mitschuld getroffen. Auch bei Unfällen, bei denen Alkohol mit im Spiel war, waren in 147 von 188 Fällen die Fußgänger die Unfallverursacher. Die Schlußfolgerungen der Polizei: Mit präventiven Großaktionen wie der jüngsten Kampagne in Prenzlauer Berg „Radfahrer – Täter oder Opfer“ wollen die Straßenverkehrshüter die Hauptbetroffenen vor sich selbst schützen.

Beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) stößt die polizeiliche Schuldzuweisung freilich auf erhebliche Kritik. „Die Polizei soll endlich mit ihrer Rüpelradler-Kampagne Schluß machen“, forderte ADFC-Sprecher Benno Koch. Hauptursache der tödlich verunglückten Radahrer seien noch immer unübersichtliche Kreuzungen und Fahrradwege auf dem Gehweg. Fast die Hälfte aller tödlichen Unfälle geschehe im Zusammenhang mit Lkws. Die beste Politik, die Straßen für Radfahrer sicherer zu machen, so Koch, sei eine vernünftige Angebotsplanung wie die Umsetzung des Veloroutenkonzepts. Koch forderte außerdem, daß die Polizei endlich mit dem ADFC in Sachen Unfallverhütung zusammenarbeite.

Trotz aller Kritik: Der Trend beim Rückgang tödlicher Unfälle ist unübersehbar. Wurden etwa 1971 noch 532 Tote auf (West-) Berliner Straßen gezählt, starben 1995 nur 143 und im vergangenen Jahr 120 Verkehrsteilnehmer. Als Grund für den langfristigen Rückgang nennt Karsten Schlüter von der Landesschutzpolizei eine geringere Durchschnittsgeschwindigkeit auf den Straßen. Schlüter verteidigte ausdrücklich die Ausweisung von Tempo-30-Zonen. Zwischen Tempo 30 und Tempo 50 erhöhe sich bei einer Kollision zwischen Pkw und Fußgänger die Gefahr, getötet zu werden, um zwei Drittel. Die meisten tödlichen Unfälle ereignen sich nach Angaben der Polizei nicht an den Unfallknotenpunkten, sondern auf den Strecken dazwischen.

Ziel der Polizei sei deshalb mehr Dezentralität in der Unfallbekämpfung. Seit 1995 muß jeder Polizeiabschnitt einmal im Monat eine Sonderaktion durchführen. Der Grund: Während die Zahl der tödlichen Unfälle weiter zurückgeht, steigt die Zahl der Verkehrsunfälle insgesamt. Von Januar bis Oktober 1997 zählte die Polizei 14.556 Unfälle, 5,6 Prozent mehr als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Uwe Rada

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