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Gute Bilder machen – und nicht nur Fotos

Die Hamburger Agentur Signum hat sich auf Reportagen und Fotoessays spezialisiert. Sie unterscheidet sich nicht großartig von anderen Agenturen, doch der kleine Unterschied macht entscheidende Qualität aus. „Flucht“ ist ein Gemeinschaftsprojekt  ■ Von Ulrich Clewing

Ein Firmenschild sucht der Besucher vergeblich. Außer einer kleinen Klingel im Hinterhof deutet nichts darauf hin, daß hier die Fotoagentur Signum residiert. Das mag man als Bescheidenheit interpretieren, man kann es aber auch ganz anders sehen: Die Kunden wissen, was sie tun müssen, um die Signum-Fotografen zu erreichen.

In der Büroetage im ersten Stock des Hauses Hohenesch 63 in Hamburg-Altona surren Computer, klingeln Telefone, überhaupt sieht es hier ausgesprochen aufgeräumt aus, gar nicht so, wie man sich als Außenstehender das kreative Chaos vorstellt. Es ist ein Büro wie jedes andere, das sagen die Signum-Leute selbst: „Wir unterscheiden uns nicht groß von den übrigen Fotoagenturen“, konstatiert Michael Meyborg, zusammen mit dem Fotografen Andreas Herzau einer der beiden Gründer von Signum-Fotografie. „Von hier aus erledigen wir den Materialeinkauf, machen unsere Recherchen, hier ist unser Archiv, das war's dann auch schon fast.“

Aber eben nur fast. Das fängt an mit der Organisationsform, die sich die Signum-Fotografen gegeben haben. Seit die Agentur zum Jahreswechsel 1991/92 ins Leben gerufen wurde, erhält jeder den gleichen Anteil am Gewinn, unabhängig davon, wieviel und für wen er fotografiert hat. Das hat einen entscheidenden Vorteil, wie Andreas Herzau erklärt: „Die Konkurrenzfrage stellt sich für uns nicht. Wir können die anfallende Arbeit je nach Bedarf verteilen.“ Die Signum-Fotografen beraten sich gegenseitig bei der Auswahl der Bilder, sie assistieren einander, ohne daß der eine das Gefühl hat, „der Assi des anderen zu sein“.

In der Praxis stellt sich das folgendermaßen dar. Herzau: „Mal angenommen, einer von uns schickt von einer Reise belichtete Filme nach Hamburg. Dann kann er sicher sein, daß die Negative entwickelt und abgezogen sind, wenn er wieder zu Hause ist.“ Als etwa Christian Jungeblodt einmal von einer Tour durch Afghanistan zurückkam, hatten die Kollegen bereits über einhundert kleine Arbeitsprints gedruckt, dann die besten Bilder ausgesucht und zu einer runden Geschichte montiert. So blieb ihm erspart, sich nach seiner Ankunft erst noch selbst eine mühselige Woche lang in die Dunkelkammer zu stellen. Ähnlich erging es Russell Liebman, der während der US-amerikanischen Invasion auf Haiti fotografierte. „Für ihn war es damals gut, zu wissen, daß wir hier sind und quasi als seine Sympathisanten die Auswahl der Fotos treffen.“ Eine nicht unerhebliche Arbeitserleichterung: Im Schnitt belichtet ein Fotograf pro Werktag zirka zehn Filme. Rechnet man für einen Auslandsauftrag zehn Arbeitstage, so macht das insgesamt 3.600 Bilder, von denen später zwanzig bis dreißig übrigbleiben.

Und auch nur so war es möglich, ein Projekt wie „Flucht“ in Gang zu bringen. „Einer allein“, sagt Andreas Herzau, „hätte das nie geschafft.“ Die Idee, die weltweiten Flüchtlingsbewegungen dezidiert zum Thema zu machen und das Ganze dann in Buchform und als Ausstellung zu präsentieren, war vor etwa drei Jahren entstanden. Auslöser waren Arbeiten der Signum-Fotografen über Asylbewerberwohnheime in Deutschland.

„Wir wollten dazu beitragen, die fatale Flüchtlings- und Asyldebatte in Deutschland zu relativieren, indem wir zeigen, daß auch andere Länder ein Flüchtlingsproblem haben, und das in ganz anderen Ausmaßen als hierzulande.“ Herzau und Jungeblodt fuhren nach Bonn, dem Sitz der Deutschen Welthungerhilfe, und stellten ihr Projekt vor. Am Schluß hatten die beiden es geschafft, sieben verschiedene Hilfsorganisationen für ihr Vorhaben zu begeistern und an einen Tisch zu bringen. Darauf sind sie heute noch ein bißchen stolz.

Andererseits, meint Michael Meyborg, sei es nicht so, daß „wir ständig zu zweit durch die Kamera schauen“. Zwar haben sie Fotostrecken auch schon mal zu mehreren als Koautoren herausgebracht (“Zwei kriegen manchmal einfach ein besseres Ergebnis hin als einer allein“), doch habe jeder einzelne von ihnen bei der Arbeit durchaus unterschiedliche Schwerpunkte. Was wiederum dazu führt, daß sie einen Auftrag, den sie selbst bekommen haben, auch mal an einen Kollegen weiterreichen, wenn der Job dessen Fähigkeiten und Interessen eher entspricht.

Die Kunden reagieren darauf ganz verschieden. Die einen wehren sich gegen die Vorstellung, einen Termin dem Kollektiv zu überantworten, und bestehen auf einem bestimmten Fotografen. Viele aber haben inzwischen auch ein gewisses Vertrauen in die Qualität der Arbeit der Signum-Mitglieder. „Bei uns“, scherzt Herzau, „ist nicht einer dumm, sondern sind im Zweifelsfall viele klug.“

Gegenwärtig besteht Signum- Fotografie aus sechs Fotografen, einer Fotografin und Wolfgang Schilling, dem kaufmännischen Geschäftsführer. Schon seit längerem zum Stamm gehören neben den zwei Gründern Michael Meyborg und Andreas Herzau Christian Jungeblodt, Clive Shirley und Andrea Artz. Russell Liebman ist im Lauf dieses Jahres ausgeschieden, dafür sind der Hamburger Markus Höhn und Markus Vogel aus Dortmund hinzugekommen.

Um zu veranschaulichen, wie die acht zusammenfanden, sei das Beispiel Christian Jungeblodt zitiert. Im September 1992 war Jungeblodt (im übrigen im Auftrag der taz) in Rostock, um aktuelle Aufnahmen von den ausländerfeindlichen Ausschreitungen zu machen, die drei Tage lang im Stadtteil Lichtenhagen tobten. Damals waren nur wenige Journalisten vor Ort. Einer davon kam von Signum, „so hat sich der Kontakt ergeben“.

Recht bald merkte Jungeblodt, daß es zwischen ihnen „eine inhaltliche Nähe“ gab, an der ihm persönlich lag. Sie beschnupperten sich eine Weile, und Ende 1993 kam es zu der Fusion von Signum und Christian Jungeblodts Berliner Fotoagentur Third Eye. Seitdem fährt Jungeblodt regelmäßig einmal die Woche nach Hamburg, und Signum hat dafür nun schon geraume Zeit ein Standbein in Berlin.

Die enge Zusammenarbeit lohnt sich nicht nur in puncto Organisation. Der Austausch über die Arbeiten des anderen ist für alle Beteiligten auch ein Mittel, sich selber weiterzuentwickeln, um dem eigenen Anspruch, „gute Bilder herzustellen und nicht nur Fotos zu machen“, soweit es geht, gerecht zu werden. In dem Büro in Altona findet darüber hinaus alle Vierteljahre ein Jour fixe statt, bei dem die Fotografen ihre neuesten Werke vor Publikum erproben. Dazu werden Freunde des Hauses eingeladen, aber auch die Abnehmer der Signum-Erzeugnisse, sprich die Wort- und Bildredakteure der großen Hamburger Zeitungen und Medienkonzerne.

Für die Verhandlungen über Honorare und sonstige Konditionen ist bei Signum Wolfgang Schilling zuständig. Diese Art Arbeitsteilung hat sich bisher bestens bewährt. Es dauerte zwar, bis die Kunden akzeptierten, daß da jemand als Nichtfotograf Ansprechpartner war. Doch inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, selbst wenn das Procedere bisweilen ein wenig unbequem ist: Als „übergeordnete Instanz“, die mit der Herstellung der Bilder zunächst nicht viel zu schaffen hat, kann Schilling „emotionsloser argumentieren“ als der direkt involvierte Fotograf – etwa wenn eine Redaktion für zwölf Stunden Arbeit lediglich einen einfachen Tagessatz bezahlen will. Vor einem Journalisten- Schicksal sind jedoch auch die Signum-Mitarbeiter nicht gefeit. Manchmal kommt es vor, daß Fotos bestellt, aber nicht abgedruckt werden. Zuletzt ist das Andreas Herzau mit einer Fotogeschichte über den Abschiebeknast in Hamburg passiert, die eigentlich in einem Hamburger Nachrichtenmagazin veröffentlicht werden sollte, dann aber „gekippt“ wurde. An der Qualität der Bilder kann das allerdings nicht gelegen haben. Herzau reichte die Mappe anschließend bei der deutschen Vorausscheidung des „european fuji press award“ ein. Er wurde für seine Arbeit mit dem ersten Preis ausgezeichnet.

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