Unter der Käseglocke

■ Entertainisierung der Vergangenheit: Joseph Vilsmaiers "Comedian Harmonists" banalisiert die Nazi-Zeit aus der Sicht des kleinen Mannes

Das Leben ist ein C-Dur- Dreiklang und die Welt eine Schellackscheibe. So war's, so muß es gewesen sein, damals 1927 in Berlin, als der 20jährige Harry Frommermann (Ulrich Noethen) sechsstimmige Partituren verfaßte für eine Legende, die es noch gar nicht gab. Eine Anzeige im Berliner Lokalanzeiger – „Achtung. Selten, Tenor, Baß (Berufssänger nicht über 25) sehr musikalisch, schönklingende Stimmen ... gesucht“ – sollte Frommermann bald eine Schar vergnügter Vorsänger ins Treppenhaus spülen. Eine Szene, die „Comedian Harmonists“-Regisseur Josef Vilsmaier ausgiebig Gelegenheit gibt, das ins Bild zu rücken, was ihn am meisten interessiert: ein putziges Chaos umständlicher Geschäftigkeiten, eingebettet in einer Fülle nostalgischer Accessoires.

Von jetzt an wird sich die Kamera hartnäckig an eine Entertainisierung der Vergangenheit machen, wird jede zeittypische Pomadenreklame in Straßen und Bahnhöfen in weiten Einstellungen umarmen und jedes Strumpfband in wilder Euphorie begrüßen. In allen Sequenzen schmatzt nun ein zweckblindes „Ja, so war's“ hinein, und die deutsche Vergangenheit macht es sich unter der harmlosen Aura des Pittoresken gemütlich. Vilsmaier interessiert nicht die gegenseitige Denunziation der sechs Harmonisch-Gestimmten nach Hitlers Machtergreifung, nicht die Jahre der Emigration, wie sie Eberhard Fechner 1976 in seinem Dokumentarfilm „Die Comedian Harmonists“ eindrucksvoll zusammenpuzzelte. Statt dessen erzählt er eine lineare Erfolgsgeschichte der musikalischen Seelentröster in nationalen Krisenzeiten, zart durchbrochen von den Irrungen und Wirrungen anrührender Liebesgeschichten. Deswegen steht die Besetzung der singenden Männergemeinschaft auch schnell fest: Robert Biberti (Ben Becker), ausgestattet mit sattem Baß, mit Sinn fürs Geschäft und dem Despotismus des erfolgreichen Managers; Roman Cycowski (Heino Ferch), ein polnischer Exopernsänger und tiefgläubiger Jude; Erich Abraham Collin (Heinrich Schafmeister), ebenfalls Jude und dazu ein hedonistisches Sonnenscheinchen; Ari Leschnikoff, ein bulgarischer Tenor, der sich gerne hinreißen läßt, das hohe C der Partitur eitel und eigenmächtig zum D hochzuschrauben, und der von Max Tidof als glutäugiger Pomadenschnauzer gegeben wird. Schließlich noch Erwin Bootz (Kai Wiesinger), ein 19jähriger Pianist aus gutem Hause, der sich beizeiten von seiner jüdischen Frau scheiden lassen wird, um sich und die großbürgerlichen Hinterlassenschaften seiner Eltern nicht zu gefährden.

Vilsmaier läßt die Sänger nicht allzu lange an schwierigen Harmonien verzweifeln, ein paar wunde Eitelkeiten hier, ein paar Gockelkämpfe da. Doch nach dem ersten Mißerfolg haben sie den A-capella-Klang nach Vorbild der amerikanischen „Revellers“, wie ihn Frommermann suchte, fest im Repertoire und lassen sich auf den Bühnen Deutschlands, schließlich Europas und später auch Amerikas feiern. Da aber der Erfolg der Truppe bis zum folgenschweren Brief aus der Reichsmusikkammer wenig dramatisches Potential abwirft, stürzt sich der Film ganz in die Niederungen des Frivolen und Gemütlichen. Da schaut Harry Frommermann der feschen Erna (Meret Becker) verschämt unters Röckchen, wenn sie eifrig berlinernd Noten und Schallplatten aus den Verkaufsregalen kramt. Und Hitzköpfchen Leschnikoff läßt sich von Nachtclubdamen schnodderschnauzige Übersetzungshilfen anbieten: „Wir zeigen dir schon, was ,Veronika, der Spargel wächst‘ bedeutet.“

Vom faschistischen Terror nur so viel, daß Biberti ihn mit einer Ohrfeige vorläufig aus der Welt watschen kann. Und so dient der SA-Überfall auf den jüdischen Notenladen vor allem dazu, Erna vor den Augen des verliebten Frommermann in Bibertis tatkräftige Arme zu treiben. Doch die Welt ist schön, und schlicht ist sie auch, und „schließlich sind wir immer noch in Deutschland“, wie Ernas Vater die antisemitische Barbarei zivilzureden versucht. Und so singen sie, immer wieder mit perfekt synchronen Lippenbewegungen zum Originalton. Sie singen von fernen Stränden, willigen Weibern und, als kleine Konzession an den Zeitgeist, von der Arbeit: „Ein neuer Frühling wird in die Heimat kommen, alles wird so wunderbar. Und man wird wieder das Lied der Arbeit singen, gerade so, wie es einmal war. Es geht im Schritt und im Tritt auch das Herz wieder mit...“

Ihre lauschige Perfektion wird bei Vilsmaier zu einer Manie. Denn das Gute und Gemütliche ist seit jeher das Gebiet des Artenschutzes der Einfalt. Und es ist die inszenatorische Einfalt, die alle sechs Musikanten bis zum letzten Konzert fest in ihre Lebensräume zurrt. Wenn Harry Frommermann niedergeschlagen ob der Nürnberger Rassengesetze und dem folgenschweren Ausschluß aus der Reichsmusikkammer seinen Vogel mit einem „Du hast es gut, du sitzt im Käfig und bist doch frei“ begrüßt, dann ist das ein typisch Vilsmaierscher Euphemismus.

Dabei geht es ihm gar nicht um die Bewahrung einer heilen, sondern um den Schutz vor der realen Welt. Sein Blickwinkel ist der des kleinen Mannes, der nie gefragt wurde und nun den Schlamassel – und etwas Schrecklicheres kündigt sich in keinem Bild an – ausbaden muß. Es ist eine prekäre Doppelstrategie, sich ästhetisch über alles zu erheben und sich politisch ins Bewußtlose zu retten, die Vilsmaier mit schwer erträglicher Beharrlichkeit bis zum pathetischen Ende verfolgt. Und so wagt er sich unbekümmert an jene Zugeinstellung, die seit Claude Lanzmanns „Shoah“ stets auf die Deportation und Vernichtung zielt. Bei Vilsmaier allerdings hockt ein glücklich knutschender Frommermann im Abteil, dem das Auftrittsverbot eine zu Tränen gerührte Erna zurückgespielt hat.

Nicht der Irrglaube der Truppe, sich unverzichtbar in die Herzen der Deutschen gesungen zu haben, und weiterhin über alle Rassenhygiene hinweg musizieren zu können, ist so unverständlich an Vilsmaiers „Comedian Harmonists“. Unverständlich ist vielmehr, daß Vilsmaier sechzig Jahre später diesen Rückzug unter die geschichtsblinde Käseglocke in jeder Szene aufs neue gutheißt. Und so ist sein Film über die Comedian Harmonists am Ende nur eine weitere Schneekugel, die er zu „Rama Dama“ und „Stalingrad“ in seine Deutschlandvitrine stellen kann. Birgit Glombitza

„Comedian Harmonists“. Regie: Josef Vilsmaier. Buch: Klaus Richter. Mit Ulrich Nöthen, Ben Becker, Heino Ferch, Kai Wiesinger, Max Tidof, Heinrich Schafmeister, u.a. Deutschland 1997, 127 Min.