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„Der Wahnsinn hat ja noch kein Ende“

Seit sieben Jahren prozessiert der Bauunternehmer Peter Merzenich erfolglos gegen die Bewag. Er hat Vermögen und Gesundheit verloren, kein Anwalt hilft ihm mehr. Ein Querulant will er aber nicht sein. Hunderte Don Quichottes melden sich jährlich beim Petitionsausschuß  ■ Von Barbara Bollwahn

Die ganze Welt soll von dem Unrecht erfahren. Drei Stockwerke hoch erhebt sich der Protest. Gut sichtbar für jeden, der es sehen will. „Notwehrmaßnahme gegen Betrug der Finanzbehörde (Bewag) bei Mittäterschaft der Justiz“, heißt es in großen Buchstaben an einer Hausfassade in der Silbersteinstraße in Neukölln. „Ich verlange meinen vom Senat beschädigten Leumund rehabilitiert zurück. (Nur Tote können ohne leben.)“ Den vorbeieilenden Passanten wird viel zugemutet – viele Transparente, viel Schrift und jede Menge Anschuldigungen. „Im Berliner Parlament sitzen von Steuern bezahlte Räuber. Die lassen Recht und Gesetz nicht gelten“, heißt es weiter. „Hier Hungerstreik wegen Entartungen (Dekadenz) in der Politik, Rechtsprechung und Justiz.“ Wer weiterliest, erfährt noch mehr: „Das Büro wird Tag und Nacht zugänglich sein für jedermann. Betrugsbeweise werden ausgestellt.“

Vor dem Betreten des Büros der Merzenich-Straßenbau- GmbH an der Silberstein-/ Ecke Hermannstraße gilt es, weitere Proteste zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Auch die Eingangstür und die Fenster wurden zur Protest-Projektionsfläche: Schreiben des Petitionsausschusses, der Senatsbauverwaltung und Gerichtsurteile kleben neben Sätzen wie „Die Richter haben Rechtsbeugung zu unserem Nachteil begangen“. Über der Eingangstür steht: „Die CDU verrät die gesetzlich verbürgten Rechte ihrer Wähler.“

In dem kleinen Parterrebüro sitzt der Geschäftsführer der Baufirma, Peter Merzenich. „Die CDU wähle ich noch immer“, sagt er. Nicht, weil „ich die Parlamentarier so gut finde“, sondern wegen der „lebenstüchtigen“ Grundlage der Partei. Gelassen schaut der 55jährige, der all die Proteste verfaßt hat, über den Rand seiner Brille. Ihm ist nicht anzusehen, daß hinter ihm ein Herzinfarkt, ein Hungerstreik und ein siebenjähriger juristischer Marathon liegen. Seit er 1990 begann, bei der Bewag Geld für nach seinen Angaben mündlich als Zusatzleistung in Auftrag gegebene Arbeiten einzuklagen, dreht sich sein Leben um exakt 217.924 Mark und 85 Pfennig nebst Zinsen und um die „Wiederherstellung seines beschädigten Leumunds“. Dafür scheut Merzenich weder Kosten noch Mühe.

Auf seinem Schreibtisch steht eine kleine Figur mit drei Eulen, die sich in Anlehnung an die drei Affen, die nichts sehen, hören und sagen, Mund, Augen und Ohren zuhalten. Der 55jährige spricht von einem „Komplott“ gegen ihn, seitdem das Landgericht 1992 in erster Instanz und das Kammergericht 1994 in zweiter Instanz seine Klage weitgehend abgewiesen haben. Er ist überzeugt, daß all die Anwälte, Staatsanwälte, die Industrie- und Handelskammer, die Bauwerksinnung und das Abgeordnetenhaus, die er im Laufe der Zeit mit Schreiben, Beschwerden und Anzeigen überzogen hat, Angst haben: „Die trauen sich nicht, Richtern weh zu tun.“

„Der Wahnsinn hat ja noch kein Ende“, sagt Merzenich. Als sich zwei Anwälte des Bundesgerichtshofes hintereinander weigerten, seine Revisionsklage in Karlsruhe einzureichen, war für den Unternehmer klar: „Die sind auch Betrugsgehilfen.“ Daß es vielleicht daran liegen könnte, daß er sich verrannt hat und deshalb kein Anwalt sein Mandat übernehmen will, kommt Merzenich nicht in den Sinn. Statt dessen dreht er die traurige Reihe von Absagen zu seinen Gunsten: „Ich bin mittlerweile so versiert, daß ich keinen Anwalt mehr brauche.“

Den könnte er sich auch kaum noch leisten. Sein damaliges Vermögen, das er auf 700.000 Mark beziffert, hat Merzenich verloren. Verloren hat er auch bei seinem Hungerstreik im Sommer. 23 Kilogramm in zwei Wochen. Von ehemals 33 Beschäftigten sind ihm wegen der schlechten Auftragslage nur noch fünf geblieben. Merzenich spricht von vier Millionen Mark Vermögensschaden in den vergangenen Jahren. Seine damals begonnene Meisterprüfung ist seinem Kampf für sein Recht zum Opfer gefallen. Seine Frau ist mit den Nerven fertig. Merzenich selber hat im Sommer einen Herzinfarkt erlitten.

Nein, ein Streithammel sei er nicht, auch kein Querulant, betont Merzenich. „Ich habe mein ganzes Leben noch nie jemanden angezeigt.“ Aufhören, weil das bisher in den Streit verlorene Geld ein Vielfaches des Streitwertes beträgt, weil seine Gesundheit und die seiner Frau angegriffen ist, weil er kaum noch Aufträge bekommt – nein, das kommt nicht in Frage. „Wir leben doch in einem Rechtsstaat“, sagt Merzenich. „Der wurde geschaffen zur Rechtssicherheit des Bürgers.“ Die „Rechtsbeugung“ sei wie ein „Würgegriff“, sagt Merzenich. „Irgendwann machen wir Pleite“, weiß er. „Doch ich habe doch keine andere Alternative.“

Der Beginn von Merzenichs Odyssee durch die Instanzen ist der Herbst 1989. Damals hat seine Firma einen Auftrag zum Aushub von Kabelgräben von der Bewag bekommen. Die Bewag habe, so Merzenich, eine Zwischenlagerung des Bodens verlangt, eine schriftliche Genehmigung dafür aber verweigert.

Merzenich engagierte ein Fuhrunternehmen, um die Erde abzutransportieren. Als Merzenich dann der Bewag 217.924,85 Mark für Sanierungsarbeiten infolge des Transportes in Rechnung stellte, weigerte sich die Bewag, dafür aufzukommen. Begründung: Merzenich habe vertragswidrig ein Fuhrunternehmen als Subunternehmer beschäftigt.

Seitdem holt Merzenich eine Stellungnahme nach der anderen ein, um zu „beweisen“, daß er im Recht ist und die Gerichte irren. Mittlerweile steht er allein da. Er weiß, daß er als „Kaufmann, dem man nicht trauen kann“, gilt. In seinem Windmühlenkampf hat Merzenich einen Aktivismus entwickelt, der wahrlich beeindruckend ist. Selbst an die „Gesellschaft für deutsche Sprache“ hat er sich gewandt. Er schickte einen Brief nach Wiesbaden mit der Bitte nach einem Gutachten, ob ein Schreiben der Bewag-Anwälte an das Kammergericht zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung „eine Behauptung tatsächlicher Art ist oder nicht, gemäß den Kriterien der Semantik“.

Merzenich triumphiert: „Die haben mir bestätigt, daß das alles im Indikativ geschrieben ist. Das heißt, das sind alles Tatsachenbehauptungen“, jubelt er. Merzenich versteht nicht, daß ihm das auch nicht weiterhilft. Zwar schreibt die Gesellschaft, daß in einer Formulierung „die syntaktische Erwartungsnorm verletzt“ und an anderer Stelle „eine passive Umschreibung“ benutzt wurde, „die im Schriftdeutschen unüblich“ ist. Doch am Ende kommt die Gesellschaft zu folgendem Schluß: „Da der Anwalt sehr unbekümmert formuliert, darf man seine Sätze ... nicht auf die Goldwaage legen. Ihm ist durchaus zuzutrauen, daß er einen beabsichtigten Konjunktiv nicht als solchen realisiert.“

Merzenich gibt nicht auf, obwohl ihm seine Frau erst kürzlich gesagt hat „Hör auf, sonst hänge ich mich auf“. Merzenich erzählt von einer Kugel, die vor wenigen Wochen das Fenster seines Schlafzimmers im sechsten Stock durchschlagen hat. „Das kann kein Zufall sein“, ist er überzeugt. Jede weitere Niederlage ist für ihn ein Indiz mehr für die „Verbrecherfront“ gegen ihn. Nachdem er auch mit seinem Ansinnen nach einer Verbandsklage und einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß gescheitert ist, demonstriert er einmal im Monat mit einer Schubkarre voller Aktenordner von seiner Firma bis zum Kottbusser Tor.

Sein letztes Schreiben hat er eine Woche vor Weihnachten verfaßt. Darin fordert er „alle rechtsstaatlich engagierten Redaktionen“ auf, ihm bei seinem „Kampf um Recht und Gesetz gegen den Obrigkeitskomplott“ zu helfen. Merzenichs Hoffnungsschimmer: Bei Fernsehpfarrer Fliege stehe er auf der Warteliste. Daß die Redaktion sich vielleicht nur nicht traut, ihn mit einer eindeutigen Absage zu konfrontieren, kommt ihm nicht in den Sinn.

Merzenich gehört zu den Leuten, die nirgendwo Gehör finden. Die Justizpressestelle in Moabit weiß ein Lied davon zu singen. „Hier rufen immer mal Querulanten an oder kommen vorbei“, erzählt Pressesprecherin Michaele Blume. „Sie labern die Leute voll und halten uns von der Arbeit ab.“ Etwa dreimal pro Woche wählen aufgebrachte Leute die Telefonnummer der Justizpressestelle in der Turmstraße, um sich über zu harte oder zu milde Urteile zu beschweren, in eigener Sache oder als Kommentar zu anderer Leute Verfahren. „Früher war das nur einmal im Monat“, sagt die Verwaltungsangestellte Jacqueline Wilke, „doch in den letzten Jahren hat das zugenommen“. Wilke stellt klar: „Wir sind nicht zuständig, uns das Leid der Leute anzuhören.“

Auch der Petitionsausschuß im Abgeordnetenhaus, der etwa 3.000 Petitionen pro Jahr mit einer Erfolgsquote von 30 Prozent bearbeitet, hat mit Leuten wie Merzenich zu tun, Leuten, denen sie nicht helfen können. „Wir haben pro Jahr fünf bis sechs Fälle“, sagt der Ausschußvorsitzende Reinhard Ross (SPD), „wo jemand einen Leitzordner voller Papiere schickt. Das ist entweder ein schwerwiegendes Problem oder ein Querulant.“ Weil die 22 Mitglieder des Ausschusses nicht in die Judikative eingreifen können, konnte der Ausschuß Merzenich nicht helfen. „Wir können Ihnen nur empfehlen, bei der künftigen Vertragsgestaltung- und durchführung die obergerichtliche Rechtsprechung zum Begriff des Subunternehmers zu beachten, um Ihre Vergütungsansprüche sicherzustellen“, teilte der Ausschuß Merzenich im Sommer vergangenen Jahres mit. „Ihre Eingabe haben wir mit diesen Hinweisen für erledigt erklärt.“

Merzenich hält sich derweil mit kleinen Aufträgen über Wasser. Kürzlich hat seine Firma einen Gehweg um das ehemalige Narvagelände angelegt. Die Arbeiten sind erledigt – jedoch nicht ohne juristisches Nachspiel. Doch das ist eine andere Geschichte.

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