"Zwei Fronten stoßen aufeinander"

■ FDP-Landesvorsitzender Matz prognostiziert für den Parteitag im Januar Richtungsstreit zwischen Nationalliberalen und liberaler Mitte. Thema "Arbeitslosigkeit" soll Stimmen im Wahljahr 98 bringen

taz: Herr Matz, im Windschatten des Bundestagswahlkampfes hat die Berliner FDP eine der letzten Chancen, die Marke der Bedeutungslosigkeit zu überspringen. Wie wollen Sie das schaffen?

Martin Matz: Die Chancen für den Abgeordnetenhauswahlkampf wie auch für andere Landtagswahlen werden sehr stark davon abhängen, wie die FDP bei der Bundestagswahl abschneidet. Deshalb werden wir auf den Wahlkampf im nächsten Jahr großes Gewicht legen. Dabei muß zum Vorschein kommen, daß sich in der FDP einiges geändert hat und sich noch so einiges ändern wird ...

Was hat sich geändert?

Daß diese Partei nicht mehr in erster Linie Regierungspartei ist, die man ihrer Funktion wegen wählt, sondern eine Partei, die um ihrer Überzeugung willen gewählt werden will: Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat ist in allen Bereichen die richtige Tendenz. Nicht nur in der Wirtschaftspolitik, sondern auch in der Innenpolitik wie bei Fragen der Migration – Stichwort „Doppelte Staatsbürgerschaft“.

Und welche Politik soll aus diesen Überzeugungen für Berlin entstehen?

In Berlin wie bundesweit ist natürlich die Arbeitslosigkeit das absolute Thema Nummer eins. Jede Partei, die das nicht so sieht, liegt neben der Zeit. Für Berlin heißt unsere Überzeugung aber auch, daß man Ressourcen für Investionen in Bildung und Kultur, die diese Stadt attraktiv machen, freiräumen muß.

Sparpolitik ist schon durch die sozialdemokratische Finanzsenatorin umfassend besetzt. Darin und in einer weitergehenden Entstaatlichung kann doch nicht das Profil einer stärkeren FDP liegen.

Die Große Koalition führt diese Entstaatlichung sehr inkonsequent durch. Wenn ich an die Privatisierungspolitik denke, ebenso an die Verwaltungs- und Bezirksreform, sind schon lange die durchgreifenden Entscheidungen überfällig. Mit den dort freiwerdenden Ressourcen könnte der Senat in anderen Bereichen Akzente setzen: Wie hier das Hochschulsystem zusammengespart wird, ist eine absolute Katastrophe. Schon allein deswegen, weil die Zahl der Studienplätze unter das Niveau absinkt, das für Studenten aus der Region Berlin-Brandenburg gebraucht wird.

Noch mal zur Sparpolitik: Die FDP hat die Geschäftsführerin eingespart, leistet sich nur einen halben Pressesprecher. Haben die Hauptstadtliberalen denn überhaupt noch Geld für einen Wahlkampf?

Wir sind stolz darauf, mit einem kleinen Etat (eine Million Mark; d.Red.) unsere Schulden in kürzester Zeit halbiert zu haben.

Und der Mitgliederschwund?

Der Mitgliederrückgang ist im Grundsatz vorbei. Unterm Strich haben wir zwar auch keinen Mitgliederzuwachs, aber die letzten Monate zeigen eine positive Entwicklung.

Steht auf dem Parteitag im Januar wieder wie vor zwei Jahren der große Showdown bevor, Nationalliberale gegen die liberale Mitte, Alexander von Stahl gegen Martin Matz?

Es wird im Januar sicher einen sehr spannenden Landesparteitag geben. Bei den Vorstandswahlen ist mindestens damit zu rechnen, daß ich wieder antrete und auch Alexander von Stahl wieder einen Versuch unternimmt.

Werden die beiden Fronten wieder verbal aufeinander eindreschen?

Ich rechne nicht nur damit, daß hier zwei Fronten aufeinanderstoßen, es wird insgesamt eine Auseinandersetzung darüber geben, wie man die FDP wieder erfolgreich positionieren kann.

Verläuft die inhaltliche Auseinandersetzung nach wie vor zwischen den Nationalliberalen und dem Rest der Partei, oder hat sich etwas verschoben?

Die Berliner Sondersituation unterscheidet sich von dem Weg, den zum Beispiel der Kopf der Nationaliberalen in Hessen, Heiner Kappel, gegangen ist.

Hat es nach dem Austritt Kappels ähnliche Signale von den Nationalliberalen gegeben?

An Fragen wie dem Mitgliederentscheid zum Euro haben von Stahl und Kappel sehr eng zusamengearbeitet, ich bin bisher immer davon ausgegangen, daß beide sich entscheiden, entweder gemeinsam in der FDP ihren Weg zu gehen oder gemeinsam außerhalb. Im Moment sieht es so aus, als sei das nicht der Fall. Es ist mir bekannt, daß einzelne Mitglieder schon überlegt haben, ob der „Kappelsche Weg“ für sie der richtige sein könnte.

Ausgetreten ist noch niemand?

Nein.

Auch innerhalb des Mehrheitsflügels der Berliner FDP verlaufen die Diskussionen nicht ganz konfliktfrei, wie der Streit um die besten Listenplätze für die Bundestagswahl zeigt. Lassen Sie es auf eine Kampfkandidatur ankommen und treten für Platz zwei an?

Wenn wir Konsens herstellen können, ist das gut. Aber in jedem Fall müssen die zwei aussichtsreichsten Plätze für Berlin zeigen, daß wir aus den Mißerfolgen der letzten fünf Jahre gelernt haben. Es muß eine Mischung aus erfahrenen und neuen Köpfen geben.

Das heißt, Sie kandidieren?

Ja. Rexrodt und Matz wäre so eine Mischung von erfahren und neu. Andere Vorschläge, die diese Bedingung erfüllen, kenne ich noch gar nicht.

Aber wäre Ihre Kandidatur im Hinblick auf ihre Rolle im Landesverband nicht eine reine Show- Bewerbung?

Nein. Die Bundestagswahl ist überlebenswichtig für die FDP, gerade auch in Berlin. Nur wenn dort endlich Überzeugung über Regierungsfunktionen gestellt wird, werden wir es schaffen.

Noch mal zurück nach Berlin. Vor allem die CDU muß sich für 1999 nach einem neuen Koalitionspartner umsehen. Hat es schon Avancen gegeben?

Es gibt unterschiedliche Auffassungen sowohl in der SPD als in der CDU, ob man im Falle eines Falles lieber die Große Koalition fortsetzen würde oder irgendeine Bündniskonstellation mit der FDP suchen würde. Im reformfreudigeren Teil der CDU kann man sich eine Koalition mit der FDP ganz gut vorstellen, andere fühlen sich in der Großen Koalition sehr wohl.

Gab es schon Gespräche?

Es gab Gespräche. Diese dienten dazu, herauszufinden, was man sich mit mir – als doch noch Neuberliner – vorstellen kann. Derzeit über dieses Stadium hinauszugehen wäre sicherlich von jeder Seite aus verfrüht. Interview: Barbara Junge