Wie der nette Herr Kaiser von nebenan

■ Die Polizei macht Polizeireform: Das Waller Revier praktiziert schon Bürgernähe auf Probe / Reportage über die „Kops“vor Ort

„Was? Wer? Wollen die kommen?“In der Spielhalle gegenüber der Waller Polizeiwache am Wartburgplatz ist man mißtrauisch, wenn jemand „Polizei“sagt. Von „Kops“oder dem Probelauf West hat man noch nichts gehört. „Hier ist doch alles in Ordnung.“Die Frau auf dem Barhocker hinter der Holztheke lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. Der Dicke mit der straff über den Bauch gespannten Hose dreht sich vom Videospiel weg: „Wissen Sie, was die Polizei tut? Nichts.“Die soll „mehr Präsenz zeigen, fester auftreten, mehr knüppeln“.

Klar kenne er die Kops, erklärt der 14jährige Thorsten, der vor dem Plus-Markt an der Waller Heerstraße herumhängt. „Von der Schule: Die kommen jetzt zu uns und schleimen sich total ein.“

„Uns kennt inzwischen jeder hier“, sagt Manfred Reinhard in den selbstgestrichenen Räumen im ersten Stock der Polizeiwache. Seine Kollegen Andreas Aßmann und Bernd Lange nicken. Als erste Bremer Kops – Kontaktpolizisten – im Rahmen des Probelaufs West für die vom Innenressort geplante Bremer Polizeireform sind sie verantwortlich für das Ziel Bürgernähe. „In der Wache rumsitzen oder auf Streife gehen brauchen wir nicht mehr“, meint Aßmann. „Wir sorgen dafür, daß die Leute auf der Straße sehen, daß es die Polizei wirklich gibt.“

„Heute ist das subjektive Angstgefühl schlimmer als das, was wirklich passiert“, erklärt Norbert Vom Endt, Chef der Polizeiinspektion West in seinem Zimmer mit Weihnachtsgesteck auf dem Tisch und Fußballpokalen im Regal. „Straftäter fangen kann da nicht mehr oberstes Ziel sein.“Deshalb habe man ältere Kollegen für den Versuch ausgewählt. „Männer, die eingreifen, wenn nötig, aber auch vermitteln. Keine jungen Spunde, die sich wie Schimanski vorkommen.“

Warum man seine Wache ausgesucht hat? Die sei eben Durchschnitt, was die Bevölkerung angeht und in der Verbrechensstruktur: selten Mord, Totschlag oder Brandstiftung. Dafür „aufgebrochene Autos, Einbrüche und die übliche Gewalt an Schulen und auf der Straße: Genau das richtige zum Ausprobieren“. Die Reform sei im Gegensatz zu früheren Versuchen nicht nur vom Innensenator, sondern „auch an der Basis erarbeitet“worden, mit Streifenpolizisten, Revierleitern und Bezirksdienstbeamten.

„Als erstes haben wir gesagt: Wir wollen mehr Geld“, erzählt Kollege Aßmann. Schließlich trügen sie als Kops auch mehr Verantwortung, müßten selber entscheiden, mit welchem Parksünder sie noch mal reden und wem sie gleich ein Ticket aushändigen. Geklappt habe das aber nicht: Weil sie nun nicht mehr Schichtdienst auf der Wache schieben müssen, gibt's 300 Mark weniger. Netto. Das mache sich schon bemerkbar.

Ebenso wie die veränderte Arbeit. In der ersten Zeit sei es vor allem darum gegangen, sich im eigenen Revier bekannt zu machen. Obwohl die drei, allesamt frühere Wach- und Streifenbeamte, schon jahrelang dort Dienst tun. „Da mußten wir uns selbst drum kümmern“, sagt Reinhard und packt einen Stapel gelber Flugblätter auf den Tisch, auf denen sich die Waller Kops gemeinsam vorstellen.

„Dieser sehr rege Rentnerclub hier, der Bürgerverein Walle“, verrät Vom Endt, „der hat uns geholfen, indem er uns zu Festen eingeladen hat, auf denen wir dann nach dem Rechten geschaut haben“. Prompt klingelt das Telefon. Der Vereinsvorsitzende. Er kündigt eine Seniorenfahrt an und bekommt gleich zwei Kops versprochen. „Die kümmern sich dann um die alten Leutchen“, sagt Vom Endt. Und als der Hörer wieder aufliegt: „Klappern gehört zum Handwerk.“Dafür seien die Kollegen auch schon mal abends und am Wochenende unterwegs. „Über die Arbeitszeiten kann man dann reden.“

Kollege Aßmann schüttelt darüber nur den Kopf. „Wenn ich abends um acht noch einen Elternabend habe, kann ich doch nicht erst um zwei Uhr nachmittags mit der Arbeit anfangen.“Schulterzucken. „Dann mache ich eben zwei Stunden extra.“

Eingeladen zu werden sei bei den meisten Terminen nicht so schwierig gewesen. Nur die Schulen hätten sich anfangs zurückgehalten. „Wir wollten nicht mehr die Bösen sein“, erklärt Lange: „Wir sind jetzt Mädchen für alles.“Was? „Oder Jungen. Große Jungen.“Nur, wie macht man das dem Rektor klar, der gewohnt ist, seine Angelegenheiten intern zu regeln, und der Wert darauf legt, nicht „jede kleine Erpressung“bekannt zu machen? „Vertrauen schaffen“, meint Lange. „Mit den Lehrern zusammenarbeiten, Verkehrserziehung übernehmen.“Bei den ersten Malen sei jeder Gang in die Schule ein Spießrutenlaufen gewesen. „Mittelfinger-Zeigen war noch die freundliche Variante.“Und in den „Chaosklassen“wolle er heute noch nicht unterrichten müssen – „wie die mit der Einrichtung umgehen!“

Doch das enge Kontakthalten draußen hat auch Vorteile. Denn jetzt erfahre er „Dinge, die man sonst nicht erfahren würde. Die können wir dann den Kollegen an der Wache stecken“.

Umgekehrt schicken die Streifenpolizisten, die nachts zu nachbarlichen Streitereien oder Familienschlägereien gerufen werden, die Kops am nächsten Tag noch mal zur Kontrolle vorbei. „Wir haben Zeit, können mit den Leuten reden und vielleicht sogar schlichten“, meint Reinhard. Einmal habe er zwei Parteien, die seit Jahren verkracht waren, zusammengebracht. „Als ich ging, haben die gemeinsam Kaffee getrunken.“Und zwei Wochen später die Baseballschläger ausgepackt und von vorne angefangen. „Manchmal hält es auch länger“, wirft Lange ein und kramt in seinem Schreibtisch nach einem Fax. „Meistens.“Und dann gebe es Lob. „Sehr geehrter Herr Lange“, beginnt das Fax, dann ein Dankeschön: „Die Frau X. hat ihre Lektion gelernt.“

Sein Einsatzgebiet ist unter anderem der Friedhof, wo es auch schon einige Erfolge zu vermelden gibt. „Man sollte denken, da passiert nichts. Statt dessen: Raubüberfälle, Sachbeschädigungen, Exhibitionisten, Diebstähle. Die nehmen alles mit: Grabsteine, Platten, Handtaschen.“Und einmal habe er einen Räuber dingfest machen können, weil Gärtner, Grünpfleger und Friedhofsgänger mitgemacht hätten. „Das kannte ich vorher gar nicht.“

Ist der Modellversuch West also ein Erfolg, wie Innensenator Borttscheller, die CDU, aber auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP), erklären? „Unbedingt“, meint Vom Endt. Nur mit den zusätzlichen Stellen, mit denen vor allem die GdP werbe, werde es wohl nichts. Wenn es mehr Polizisten auf der Straße gebe, dann nur über eine „Umverteilung der vorhandenen Ressourcen“. Aber das Image habe sich verbessert. Und von Aufrüstung spricht keiner? „Nur weil man ein Stück grünen Stoff mehr auf der Straße sieht, kann man doch nicht von Aufrüstung sprechen“, meint Aßmann. Die Waffe bleibe sowieso meist zu Haus. „Aber wie das bei einer Ausweitung des Probelaufs auf das Viertel oder am Hauptbahnhof aussehen würde, kann man natürlich nicht sagen.“

Beate Willms