■ 1997 – das Jahr der „afrikanischen Renaissance“
: Afrikas Abschied von Europa

Vor fast genau 100 Jahren begann in Afrika die Zeit der unangefochtenen europäischen Herrschaft. 1898 wurde der große Krieger und westafrikanische Erobererkönig Samory von Franzosen gefangengenommen; das letzte noch zu eigener Entwicklung fähige afrikanische Großreich fiel. 1997 hat sich ein ähnlich spektakulärer afrikanischer Umsturz unter umgekehrten Vorzeichen vollzogen: In Zaire fiel ein als Marionette des Westens betrachtetes Regime an eine panafrikanische Staatenkoalition; unter Mobutus Bezwinger Kabila etablierte sich ein komplexes und undurchschaubares Herrschaftssystem, dessen Ähnlichkeiten mit dem Königshof Samorys frappierend sind. Der Machtwechsel in Kinshasa gilt als Symbol der seither oft beschworenen „afrikanischen Renaissance“. Ein neues Afrika entsteht vom Roten Meer bis zum Atlantik, jubelte nach Mobutus Sturz Ugandas Präsident Yoweri Museveni, einer der Architekten der Umwälzungen des verflossenen Jahres.

Kaum ein Schlagwort wurde in Afrika dieses Jahr so viel gebraucht und mißbraucht wie das der „afrikanischen Renaissance“. Es ist ein verräterischer Begriff. Denn wie der Begriff der Wiedergeburt schon andeutet, bildet sich im Dreieck von Kabila, Museveni und Mandela kein neues Afrika heraus, sondern es entsteht in kraftvollen neuen Farben eine Variation des alten, in dem große Führer als Lichtgestalten den Weg aus dem Dunkel weisen. Mit Kabila siegte der letzte noch nicht befriedigte Thronanwärter aus den Zeiten des antikolonialen Kampfes. Nun ist die Befreiung Afrikas von äußerem Zwang vollzogen.

1997 war das Jahr, in dem Afrika Abschied von Europa nahm und einen großen Sprung hin zu sich selbst vollzog. Nicht Europa kehrt Afrika den Rücken zu, wie so oft behauptet, sondern umgekehrt. Trotz aller technologischen Vernetzung weiß Europa immer weniger darüber, was in Afrika tatsächlich passiert. Sogar Frankreich, für das Afrika immer noch eine wichtige Projektionsfläche eigener Größe darstellt, verliert allmählich den Kontakt zu afrikanischen Führern und sucht verzweifelt nach einer neuen Afrikapolitik, die den eigenen Machtverlust mit der inhaltsleeren Rhetorik einer „Partnerschaft mit erwachsenen Ländern“ zu kaschieren versucht.

Europa, der Kontinent der Abschottung, hat Afrika nichts mehr zu bieten und nichts mehr zu sagen. Auf der Suche nach Investoren schauen afrikanische Länder lieber nach Nordamerika und Asien. Die Handelspolitik der USA gilt in Afrika als fortschrittlicher, weil unpolitischer, als die Europas. Asiatische Investoren verdrängen immer öfter Europäer bei der Privatisierung afrikanischer Staatsbetriebe. Südkorea wurde früher von vielen afrikanischen Demokraten als Entwicklungsmodell empfohlen; da es inzwischen selbst zum Sanierungsfall geworden ist und daher ausfällt, ist statt dessen die Volksrepublik China, politisch noch genügsamer als Washington, diesen Monat von Laurent Kabila zum Vorbild erklärt worden. China nahm diese Woche mit Südafrika diplomatische Beziehungen auf und hat dieses Jahr umfangreiche Entwicklungszusagen von Niger bis Sambia getätigt. In solchen neuen Allianzen liegt natürlich auch der Kern zukünftiger Probleme. Vielleicht kommt Asiens Wirtschaftskrise da gerade recht, um Afrikas Politiker vor neuen Irrwegen zu bewahren.

Denn Afrikas Renaissance heißt auch: Es gibt keine Ausreden mehr. Die Zeiten, wo jede Schandtat mit der kolonialen Hinterlassenschaft gerechtfertigt werden konnte, sind unwiderruflich vorbei. Von jetzt an stellen sich andere Fragen: Die der selbständigen Überwindung eigener Fehler und der selbständigen Entwicklung eigener Kapazitäten als Voraussetzung dafür, daß nach der Wiedergeburt des alten Afrika die Transformation in ein wirklich neues erfolgen kann. Dies ist die wahre Bedeutung des großen Sprungs, den Afrika in diesem Jahr geleistet hat. Afrikas Zukunft liegt in keinem fremden Heil, sondern sie liegt in Afrika, mit all seinen Verbrechern, seinen Ausbeutern, seinen Massenmördern und nicht zuletzt seinen politisch immens aufgeweckten Völkern, denen nach hundert Jahren Elend kein Despot mehr etwas vormachen kann. Dominic Johnson