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Streit um Aufklärung in Polen

■ Der Präsident legt sein Veto gegen ein Gesetz zur Abschaffung von Sexualerziehung an Schulen ein. Konservative und Kirche protestieren

Warschau (taz) – Das Thema „Sexualkunde in der Schule“ beherrscht seit Tagen die Titelseiten der polnischen Zeitungen. Schlagzeilen wie „Der Präsident fordert Sex“ oder „Wer versteht das Sex- Veto?“ heizen die Stimmung an. Vor zwei Wochen hatte das polnische Abgeordnetenhaus, in dem seit den Wahlen vom September konservative und liberale Politiker die Mehrheit stellen, das Abtreibungsrecht verschärft. Eine Abtreibung ist nur erlaubt, wenn die Frau vergewaltigt wurde, das Kind mißgebildet oder die Gesundheit der Mutter gefährdet wäre.

Gestrichen wurden aber auch das Fach „Sexualerziehung“ an den Schulen und die entsprechende Fortbildung der Biologielehrer. Angeblich wollten die Abgeordneten damit Geld sparen. Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski hält diese Sparmaßnahmen für wenig sinnvoll. Zum einen hat sich Polen 1994 und 1995 in international gültigen Verträgen verpflichtet, ein Aufklärungsprogramm für SchülerInnen zu erarbeiten. Zum anderen, so Kwaśniewski, „ist der beste Schutz vor einer ungewollten Schwangerschaft das Wissen über die Konsequenzen einer sexuellen Beziehung“. Kwaśniewski legte gegen das Gesetz ein Veto ein. Die Folge: lautstarke Proteste von konservativen Politikern und der katholischen Kirche. Primas Jozef Glemp wetterte: „Zum heiligen Weihnachtsfest legt der Präsident sein Veto gegen ein Gesetz ein, das die Familie verteidigt. Die Kirche hat nichts gegen die Sexualkunde, wenn sie zu Sauberkeit und Liebe erzieht.“ Doch Glemp vermutet, daß es bei der Sexualkundeerziehung „um das Verdienen an gewissen pharmazeutischen Produkten“ geht. Dieser Kampf werde an der Spitze des Staates ausgetragen. Um das Veto abzuschmettern, sind 276 Stimmen notwendig, 17 mehr, als die Koalition im Abgeordnetenhaus besitzt. Die Abstimmung könnte zur ersten Niederlage der Mitte-rechts-Regierung gegenüber der Opposition führen. Gabriele Lesser

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