: Das Chamäleon fährt Fahrrad
FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle geht es um den Eindruck, selbst auf seinem Tourenrad. Die bikende „gummierte Leberwurst“ (Westerwelle) will als Polarisierer und als Kunstliebhaber rüberkommen ■ Aus Bonn Markus Franz
Im Büro von Guido Westerwelle steht eine neue Skulptur: Ein Männertorso, über dessen kopflosen Schultern drei Engel im Kreis schweben. „Phantastisch, nicht?“ sagt der Generalsekretär der FDP und streicht über das vierzig Zentimeter große Kunstwerk. Mit leuchtenden Augen berichtet er, wie er es in Uruguay von einer einheimischen Künstlerin gekauft hat. Und weil man gerade beim Thema ist, empfiehlt er leidenschaftlich das Theaterstück „Der kaukasische Kreidekreis“, das er gerade in Bonn gesehen hat. Dabei beugt er sich vor und schwärmt: „Das war toll.“ Kunst und Kultur, sagt er, „ist der schönere Teil des Lebens“.
Beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart, das heute beginnt, wird der Kunstliebhaber und Schöngeist in Guido Westerwelle keine Rolle spielen. Im Gegenteil: Westerwelle läßt auf der politischen Auftaktveranstaltung im Wahljahr den Dirty Harry raus. Er wird sagen, Arbeit müsse sich wieder lohnen, die FDP setze auf die Gewinner, auf Einsteiger und nicht Aussteiger, und wenn ihn die Courage nicht doch noch verläßt: „Wir wollen die Schwachen vor den Faulen schützen.“ Vor einem Jahr, sagt er, „hätte ich mich dazu noch nicht getraut“. Nicht weil er zu wenig Selbstvertrauen gehabt hätte, sondern weil die Stimmung im Land heute eine andere sei. Aus zahlreichen Veranstaltungen im Land habe er herausgehört, was die Leute hören wollen. Und „die Leute“ das sind nun mal für die FDP Handwerk, Mittelstand und überhaupt alle Leistungsbereiten.
Im vergangenen Jahr hat sich Westerwelle zurückgenommen. Beim politischen Reizthema Steuerreform, insbesondere beim erfolgreichen Kampf um die Senkung des Solidaritätszuschlags, überließ er die Bühne auffallend häufig FDP-Parteichef Wolfgang Gerhardt und Fraktionschef Hermann Otto Solms. „Ich wollte mich nicht inflationieren“, begründet der Rechtsanwalt seine Zurückhaltung. Sonst wäre er ausgerechnet im Wahljahr nicht mehr „so brauchbar“ gewesen.
Denn Westerwelle weiß sehr wohl: Seine pointierten Sprüche von der Art „Das Kennzeichen von Heiner Geißler ist Gratismut zum Nulltarif“ oder „Der Demagoge Lafontaine zündet das Land an und verkündet, daß es brennt“ bringen ihn in die Gefahr, als Sprücheklopfer abgetan zu werden.
Er sagte Streitgespräche ab und machte dafür mehr Goodwill-Termine. „Mal muß man Aufmerksamkeit erregen“, begründet er seine Taktik, „und das dann bei den gewonnenen Menschen vertiefen.“ Dabei gehe es auch darum, den Menschen Guido Westerwelle „besser zu zeigen“.
Kaum ein anderer Politiker wird derart in eine Schublade gesteckt wie er. Bei einer Umfrage mit der Aufgabe, den 36jährigen in drei Worten zu beschreiben, kämen wohl die Worte „Yuppie“, „aalglatt“ und „eitel“ am häufigsten vor. Friedrich Küppersbusch hat ihn eine Mischung aus Aal und Bankkonto genannt, und die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Guido Westerwelle ist da und auch wieder dieser Auftritt, so glatt, daß man sich wundert, daß er nicht selbst dabei ausrutscht. Dieses schmeichelnde Lächeln, diese übertriebene Munterkeit...“
Wäre Westerwelle nicht ausgerechnet FDP-Generalsekretär, würde man den in Bad Honnef geborenen Mitgründer und ehemaligen Vorsitzenden der Jungen Liberalen vielleicht als heiter, aufgeschlossen und freundlich bezeichnen. Aber ein solch farbloses Profil wäre Westerwelle wohl selbst nicht recht. Hat er nicht zu Beginn der achtziger Jahre mit seinen Julis geholfen, die Jungdemokraten als linken FDP-Nachwuchsverband aus der Partei zu drängen?
Im kleinen Kreis hat er mal aufgestöhnt: „Ich bin ganz anders, als man mich kennt.“ Leistungsbereit, weltoffen, tolerant etwa, wie Parteisprecher Thomas Volkmann ihn nennt? Beiden fällt auf der Suche nach dem anderen Westerwelle seine Kunstleidenschaft ein.
„Ich bin ganz anders, als man mich kennt“
Nach einigem Nachdenken erinnert sich Westerwelle an eine Begebenheit vor seiner Haustür in der Bonner Altstadt. Er war gerade von einer Fahrradtour mit seinem Trekkingrad gekommen und plauderte mit zwei Nachbarinnen. Er trug eine schwarze Gummihose und ein ausgeleiertes Sweatshirt. „Ich sah aus wie eine gummierte Leberwurst“, sagt Westerwelle. Ist er also doch nicht eitel?
Wochen später möchte er zu seinem Image am liebsten nichts mehr gesagt haben. Soll bloß keiner denken, er bemitleide sich selbst. Das paßte ja nun überhaupt nicht zu einem dynamischen, erfolgsorientierten, selbstbewußten Mann, der Menschen mit ebensolchen Qualitäten in den Bann der FDP ziehen will. Westerwelle will zuspitzen, polarisieren, auf diese Weise ein „glasklares Profil“ schaffen, und sei es um den Preis, sich und seine Partei bei vielen unbeliebt zu machen.
Dem Medienprofi ist es nur recht, wenn SPD und CDU gleichermaßen auf der FDP herumhacken, weil sie einen Kompromiß bei der Steuerreform verhindert, die Kürzung des Soli-Zuschlags durchsetzt und sich gegen die Reduzierung der 610-Marks-Jobs stellt. Selbst Abstempelungen wie „Neoliberale“ und „Marktgötzen“ nimmt er gelassen in Kauf. „Die Wähler wissen dann wenigsten, warum sie uns wählen sollen.“ Westerwelle meint, daß dies in jüngster Zeit besser gelungen sei „als je zuvor“. Dennoch wirkte er in den letzten Wochen ernster, mürrischer und bissiger als sonst. Die Affäre um die Parteifinanzen hat ihm zugesetzt, wie er ohne Umschweife einräumt. Er hält sich nicht mit Schönreden auf, erwähnt nicht einmal, daß es sich doch schließlich nur um einen Formfehler gehandelt habe. Westerwelle weiß, worauf es ankommt: den Eindruck. In diesem Fall ist es der „fatale Eindruck“, die FDP habe illegal Geld gekriegt.
Noch angeschlagener wirkte er nur einmal zuvor. Im Dezember 1996 als die FDP einen Rückzieher bei der für 1997 angekündigten Soli-Senkungen machte und die Bild am Sonntag über den Fotos von Westerwelle, Gerhardt und Solms titelte: „Die Betrüger von Bonn“.
Westerwelle war danach derart dünnhäutig, daß er in einer Pressekonferenz einen Journalisten anraunzte, dessen Handy klingelte. Noch heute erinnert er sich mit einem Schauder in der Stimme: „Wenn die Journalisten die richtigen Fragen gestellt hätten, dann wäre ich geplatzt, dann wäre alles möglich gewesen.“ Was, läßt er offen, schließlich hat er sich längst wieder in der Gewalt.
Und wie würde sich Westerwelle selbst in drei Worten beschreiben? Er überlegt einen Moment, lächelt so gar nicht ölig und sagt felsenfest: „Ich bin ich!“
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