: Italien sucht das internationale Verbrechen
■ Menschenschlepper und Mafiosi beuten die Kurden aus, Europas Politiker die Kurdenfrage. Der Regierung in Rom kämen deutsche und französische Hintermänner recht gelegen
Eigentlich dürften sie gar nicht miteinander können: Farhad, irakischer Kurde, Germano, Zivilfahnder der italienischen Grenzpolizei, und Sigman, albanischer Menschenschlepper mit dem Spitznamen „Hüfthalter“. Der erste wird offiziell von der Polizei gesucht, weil er der Ausweisungsanordnung von Anfang Dezember nicht nachgekommen ist. Germano hat ihn erwischt, als er zu Neujahr mit anderen drei dutzend Kurden entlang der Adriaautobahn Richtung Norden marschierte. Innerhalb von zwei Stunden, wohl auch mit einigem Alkohol, hatte Germano ihn als Spitzel gewonnen. Der „Hüfthalter“, Dritter im Bunde, ist Menschenschmuggler und hat, so die Legende, seinen Namen daher, daß er die Flüchtlinge jeweils kurz vor Erreichen der italienischen Küste blitzschnell um die Hüfte faßt und ins Wasser stößt – wobei ihre Habseligkeiten meist rein zufällig an Bord bleiben und er hurtig wieder in internationale Gewässer entkommt.
Durch ihn ist Farhad nach Italien gekommen, mit einem Trawler über die Etappen Griechenland und Albanien. Umgerechnet 4.000 DM hat er dafür bezahlt, gut 2.000 DM hatte er noch als Notgeld bei sich – es ist wohl bei Sigman oder einem seiner Helfer hängengeblieben. Jedenfalls hat Farhad keine Lira mehr und einen entsprechenden Rochus auf alle Schlepper. Sigman ist der Polizei ins Netz gegangen, weil albanische Behörden eine Namensliste mit Schmugglern nach Italien geschickt hatten. Daß die drei zusammenarbeiten und an diesem Sonntag zum Rapport nach Rom gekommen sind, hängt mit dem Schengener Abkommen zusammen: Italiens Regierung sieht zwar die Dinge lange nicht so eng wie die deutsche und die österreichische, wenn es ums Augenzudrücken bei Immigranten geht. Schließlich ist man seit Jahrzehnten deren Anwesenheit gewohnt und ordnet die billigen und vor allem rechtlosen Arbeitskräfte als gar nicht so üblen Produktionsfaktor ein. Doch da sich die mitteleuropäischen Innenminister immer mehr um die Haltbarkeit der Südflanke ihrer „Festung Europa“ sorgen und die bayerische Grenzpolizei zu wissen glaubt, daß an die 20 Schiffe mit je 500 Flüchtlingen bald gen Italien tuckern werden, sucht Italiens Administration nach gepflegter Tradition bereits vorsorglich eine Menge Ausreden, wenn's mit dem Dichtmachen nicht so recht klappt.
Und darum müssen Farhad, Germano und Sigman irgendwie den Beweis bringen, daß hinter dem Kurdenfluß vor allem eine Macht steht, die nur schwer zu besiegen ist – die Mafia.
Farhad, der ein wenig Italienisch radebrecht, soll Menschen – und dafür wird die Ausweisung ausgesetzt – unter seinen kurdischen Landsleuten auftun, die belegen können, wie in ihren Dörfern Fremdlinge den Menschen zureden, nach Europa zu kommen. „Dabei könnte es sich allerrdings auch um Agenten der türkischen Regierung handeln, die Druck auf die Europäische Union ausüben wollen“, sagt er. Quatsch , verfügt Germano, „es sind Mafiosi“. Sigman, dem im Verurteilungsfalle bis zu 15 Jahren Gefängnis drohen, hat sich bereit erklärt, die Verästelungen im Menschenhandel nachzuzeichnen und die Mafiabanden in Apulien und Kalabrien zu benennen, die international tätig sind. Vor allem aber soll er Belege finden, daß nicht nur die türkische, griechische und albanische Unterwelt zusammenarbeitet, sondern auch die deutsche und die französische kräftig mitmischen. Gelingt dieser Beweis, so meinen Italiens Behörden, könne niemand mehr das gesamteuropäische Interesse an der Sache leugnen – und das würde vor allem einiges Geld in Italiens Kassen bedeuten. Dutzende Crews wie die von Germano sind derzeit unterwegs, um die Beweise der Europa-Connection wasserdicht zu machen.
„Bisher“, sagt Germano, „haben wir zumindest auf zwei Schiffen, die sich Italien nähern, des Deutschen kundige Schmuggler ausfindig gemacht.“ Die bieten, das hat Sigman von Kumpanen per Handy erfahren, „ganz ungeniert gegen weitere Zahlungen eine Einschleusung nach Deutschland und Frankreich an“.
Farhad mutmaßt, daß es sich bei diesen Leuten um türkische Kurden handelt – die Namen, die diese Leute benutzt haben, sprächen dafür. Germano ist sich bei alldem nicht so sicher, ob auch der schlüssigste Beweis etwas an der politischen Großwetterlage in Sachen Asyl ändern würde: „Die schieben die Kurdenfrage jetzt vor, um Italien vorzuführen. Im Grunde ist es ja geradezu lächerlich, wegen der paar tausend Kurden, die maximal auf die größeren EU-Länder zukommen könnten, so ein Trara zu machen.“ Da hat er recht. Sigman grinst: „Bei uns Albanern vor einem Jahr ward es aber ihr Italiener, die wegen ebenfalls gerade mal ein paar zehntausend Hilfe geschrien habt.“ Auch das stimmt. Und wie damals ist auch in der Kurdenfrage längst aus der Debatte verschwunden, worum es eigentlich geht: „Um uns Menschen“, sagt Farhad schlicht. Germano schaut ihn erstaunt an: so kann man's auch sehen. Darf man aber nicht. Werner Raith, Rom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen