„Normalerweise fragt man. Ich nicht.“

■ Für manche ist Gerold Janssen einfach ein verdammt sturer Hund. Wer sich aber von Bremens bekanntestem Umweltschützer von den Libellen seiner ostfriesischen Heimat erzählen läßt, fängt an zu begreifen. Ein Porträt.

„Wir fanden ihn in deutlich schockiertem Zustand, mit Zeichen äußerer Gewaltanwendung. Befund: An den Unterschenkeln mehrere Schürfwunden, li. Unterschenkel frisch blutend, Schürfwunden an den Handgelenken. Linksseitige Gesichtsschwellung, Muskelprellungen, Gelenkzerrungen. Wegen anhaltenden Herzbeschwerden und der vorangegangen, nächtlichen Schlaflosigkeit fertigten wir ein EKG an.“

Doch was kann das EKG mehr sagen, als das Attest der Ärztin sowieso schon vermerkt.

Spurlos ist die letzte Protestaktion nicht an Gerold Janssen vorübergegangen. Zwei Polizisten, sagt Janssen, haben ihn ohne Grund zu Boden geschleudert, mißhandelt, beschimpft, behandelt wie einen Schwerverbrecher und schließlich in Handschellen auf die Polizeiwache geführt. Dabei hat der 74jährige nur das getan, was er am liebsten tut: Gerold Janssen hat gemalt.

Das Wetter war mild am 1. Advent, der Wind blies sanft über das zu dieser Jahreszeit karge Hollerland, und die Wut pochte kräftig gegen Janssens Schläfen. Eine Stimmung, die nach Pinseln schreit. Wieder mal soll ein Teil des Naturschutzgebietes unweit des Universitätsgeländes, in dem seltene Vögel und Pflanzen eine Überlebensnische gefunden haben, unter grauem Asphalt verschwinden. Und wieder mal kramte Janssen in seinem Keller die Farben hervor, um, wie er sie nennt, an „meine Reklamewand“am Autobahnzubringer Horn-Lehe seinen Protest gegen diese Absichten zu pinseln. Unaufgefordert. „Normalerweise fragt man. Ich nicht.“

Gerold Janssen hat sich ein sehr dünnes Fell bewahrt: „Die Vögel im Hollerland können ja 100 Meter weiter fliegen.“Es sind solche ignoranten Sätze, wie sie aus Politikermündern wie dem des CDU-Fraktionsvorsitzenden Ronald-Mike Neumeyer quillen, die Janssen zum Farbeimer laufen lassen. „Das sind selbsternannte Götter, die mal eben definieren, was Natur ist und was für Tiere angemessene Lebensräume sind.“Und wenn Arroganz und Macht ihre unseligen Allianzen schließen, stehen eben sehr bald Sätze wie „CDU: Gott – schütz uns vor Deiner Natur!“an der Reklamewand. Mit wasserlöslicher Acrylfarbe. Und einem Lappen, um die Farbspritzer zu entfernen. Sehr deutsch und sehr dezent, Gerold Janssens Form des Widerstandes.

Und vielleicht deshalb so wirkungsvoll. Schon Ende der 60er Jahre, als die deutschen StudentInnen Solidarität mit den Befreiungsbewegungen in der 3. Welt forderten, gründete Janssen in seinem Stadtteil die erste erfolgreiche Bürgerinitiative zur Rettung und Sanierung des Horner Solwasserbades.

In den Jahren darauf kamen weitere Initiativen gegen das Verkehrsaufkommen in Horn, für die Rechte von RadfahrerInnen und FußgängerInnen oder gegen die Siemens-ansiedlung auf dem Gelände der Uni-Ost hinzu. Zehn Jahre lang hat Janssen quasi im Alleingang für das Feuchtwiesengebiet nördlich des Stadtzentrums gekämpft. Über 40 Stadträte, SenatorInnen, Fraktionssprecherund Beiratsmitglieder führte er 1989 in wenigen Monaten zu Fuß durch das Hollerland, bis selbst Menschen wie Henning Scherf – „der hat von Ökologie schlicht keine Ahnung. Wäre seine Frau Luise nicht mitgegangen, wäre alles ohne Wirkung an ihm abgeprallt“– einsah, daß dieser Landstrich besser nicht bebaut werden sollte. Auf der Terrasse von Gerold Janssen wird schließlich in einer Oktobernacht „bei Schinken und sehr viel Rotwein“vertraglich festgelegt, daß der größte Teil des Hollerlands unter Naturschutz gestellt wird. Gerold Janssens größter Triumph.

Und doch: nur zwei Tage später steht er wieder, mit riesigen Schuldgefühlen und einem neu gekauften Maßband, im Hollerland und mißt aus, wieviel Boden er mit dem Vertrag zur Bebauung freigegeben hat. „Ich wollte doch 100% der Fläche retten und habe nur 90 Prozent geschafft. Dafür habe ich mich total geschämt.“Kurz darauf rutscht Gerold Janssen in eine seiner heftigen Depressionen, die ihn, zuletzt vor wenigen Monaten, so regelmäßig überkommen wie die PolitikerInnen die Gelüste auf das Hollerland.

„Aber es ist besser geworden. Mittlerweile glaube ich, auch in den dunkelsten Phasen, immerhin, daß da tatsächlich ein Licht am Ende des Tunnels auf mich wartet“: Fenna, Gerold Janssens Ehefrau seit 44 Jahren. Ohne ihre Hilfe, sagt Janssen, hätten ihn die Depressionen besiegt.

Schon seine Mutter litt an dieser Krankheit. Damals, während der Kindheit im ostfriesischen Borssum bei Emden, hat Gerold Janssen nicht viel davon mitbekommen. Denn die Eltern lebten nicht für ihre vier Kinder, sondern für das Geschäft. „Die Dienstmädchen haben uns den Arsch abgewischt. Das war Kindererziehung.“Nicht einmal an den Wochenenden ließ die seit 1750 im Familienbesitz befindliche Bäckerei den Eltern zum Leidwesen Janssens Zeit für die Familie: Auch ein Grund dafür, daß Janssen im Gegensatz dazu mit seinen beiden eigenen Töchtern „sehr viel Zeit verbracht“hat.

Vor allem Janssens Vater mußte ausnehmend viel ackern: In den Morgenstunden vor dem Backofen, abends für den Ortsverband der NSDAP, deren Kassenwart er war. Ein überzeugter Nazi, der in der Nachkriegszeit heimlich zum verbitterten Trinker mutierte: Auch dieser Vater bot durchaus Grund für Depressionen.

Nicht nur deshalb denkt Janssen ungern an seine Kindheit. Weil er zufällig anwesend ist, als ein kleines Nachbarsmäd-chen sich entkleidet, wird der Achtjährige von seinen Eltern brutal abgestraft. Ein Trauma, das Janssen jahrzehntelang mit sexuellen Verklemmungen und diffusen Ängsten vor Frauen bezahlt, die ihn bis ins hohe Alter begleiteten. Erst Mitte der 80er Jahre erlöst ihn endlich eine Therapie in einer psychosomatischen Klinik von diesem Alpdruck.

Aus dem Krieg, dessen Ende der Luftwaffensoldat Janssen als Kriegsgefangener in Italien erlebt, kehrt sein jüngerer Bruder als Invalide zurück. Da die Eltern ihm deshalb den Betrieb übergeben, verläßt Janssen nach seiner Bäckerlehre als 29jähriger seine ostfriesische Heimat, um als Buchhalter in einer Hamburger Reederei, einer Teerchemiefirma und schließlich bis zur Pensionierung in einer Bremer Treuhandgesellschaft zu arbeiten. Aber im Herzen nimmt er das mit, woran er bis heute mit wehmütigen Gefühlen denkt: Die Erinnerungen an die Feuchtgebiete und Landschaften zwischen Emden und Leer, in denen er schon als kleiner Junge, still dasitzend, stundenlang an den Wasserläufen Fische, Libellen und Schmetterlinge beobachtete. Vergangenheit. Heute ist das alles zerstört, „längst gefressen vom menschlichen Expansionswahn, dem Monokulturen, Straßen, Autobahnen und Wohnsiedlungen wichtiger sind als Feuchtgebiete“.

Das Hollerland, Gerold Janssens zweites Zuhause: Ein Stück wiederbelebte Heimat. „Ich weiß, was es bedeutet, eine wunderschöne Landschaft nur noch als Erinnerung zu besitzen.“Kaum eine Fläche in Janssens Wohnung, die nicht der Erinnerungsarbeitgewidmet ist. Bilder, Photos und Zeichnungen von Pappelwäldern, Krebsscheren, Uferschnepfen, Insekten und Fischen zieren, neben eingerahmten Bußgeldbeschei-den wegen ordnungswidrigen Verhaltens, die Wände.

Als wäre sie für ihn gezeichnet: Im Keller, neben dem überquillenden Aktenordnerschrank, der Janssens politisches Leben in sich birgt und, „wenn ich mal Zeit dazu habe“, in die geplante Autobiographie des 74jährigen Pensionärs einfließen soll, hängt, zwischen Anti-AKW und Ostermarschplakaten, eine kleine Karikatur. Sie zeigt einen kleinen Frosch, aufgespießt von einem Storch, der fröhlich lächelnd den Hals des großen Vogels würgt. „Widerstand“, sagt Gerold Janssen, „ist eigentlich zwecklos, weil die Menschheit sich sowieso zugrunde richtet. Aber ich kann einfach nicht anders.“Und ein Lachen blitzt aus den blauen Augen.

Aber manchmal ist es gut, daß Menschen nicht anders können. Finden zuweilen selbst die, denen Janssens hartnäckiger Widerstand seit Jahrzehnten gilt. Anfang 1993 bekam er deshalb aus der Hand des damaligen Umweltsenators Ralf Fücks das Bundesverdienstkreuz verliehen. „Auch Chaoten sind wichtig“, hatte Fücks damals gesagt und Janssen für die Ausdauer und Kreativität gedankt, mit der er seinen umweltpolitischen Einsatz betreibt. Die Auszeichnung, die er wegen diverser Nazipreisträger nur mit Widerwillen entgegennahm, hat „der Chaot“längst wieder zurückgegeben – aus Protest gegen die umweltfeindliche Gewerbeansiedlungspolitik eben jenes grünen Senators Fücks.

Die Freude an provokativen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die bei seinen Gegnern oft überzogene und selbstentlarvende Handlungen auslösen, ist Janssen hingegen geblieben.

Ob er Naturlehrpfade auf den Boden pinselt, Fahrradwege demonstrativ aufreißt oder sich stundenlang an Bäume kettet: Die fast kindliche und nicht uneitle Freude am Tabubruch ist immer dabei. „Mir macht es Spaß, Sachen zu machen, wo andere sagen: Huch, jetzt kommt aber gleich die Polizei!“Manchmal kam jedoch nicht die Polizei, sondern Chaoten von ganz anderem Kaliber als Janssen. In seiner Zeit als Deichgraf verprügelte ihn ein Wassersportfreund, der sich nicht von einer illegalen Bootstour durch das Naturschutzgebiet abhalten lassen wollte.

Am Kuhgrabensee, nördlich des Unisees gelegen, wurde er von einem anderen Zeitgenossen krankenhausreif geschlagen, der sich von Janssen in seiner existentiellen Freiheit, das Ufer nach eigenem Gutdünken zuzumüllen, eingeschränkt fühlte. Widerstand und Prügel liegen, aller Freude an der Provokation zum Trotz, offenbar eng beieinander.

Diese sinnlosen Gewaltausbrüche haben Gerold Janssen über die körperlichen Verwundungen hinaus zu schaffen gemacht. Skeptischer ist er geworden, illusionsloser sieht er nun die Möglichkeiten aufklärerischen Handelns. „Menschen“, glaubt er mittlerweile nicht nur wegen der beiden Schläger, „werden nie freiwillig verantwortungsvoll mit der Natur umgehen. Zäune schützen sie mehr als Appelle ans Gewissen.“Und, so ist ihm zunehmend klar, nicht nur er trägt schwer an den Folgen seiner Aktionen. „Auch Fenna hat unglaublich gelitten“– ein Satz, der Gerold Janssen mehr als einmal über die Lippen geht.

Wenn sie ihn während der Depressionen stützt und erträgt, mit Lebensmitteln versorgt, während er auf einem zu fällenden Baum ausharrt („der Baum steht heute noch, aber all die anderen drumherum wurden gefällt“), oder die Öffentlichkeitsarbeit über Wochen allein aufrechthält, wenn er in Kur- oder Krankenhäusern verweilt: Fenna Janssens Anteil am Erfolg der Aktionen ist größer, als gemeinhin angenommen wird. Ebenso wie der Anteil an den Leiden, den sie zu tragen hat an der Seite ihres schwierigen Mannes. „Denk auch mal an dich, liebe Fenna“, hat eine Freundin auf ein Tuch geschrieben, das Fenna Janssen zu ihrem 70. Geburtstag geschenkt bekommen hat und nun den Wohnungsflur schmückt.

Ein frommer Wunsch. Denn das Leben der Janssens wird, nicht nur wegen der jüngsten Auseinandersetzungen um das Hollerland, eher hektischer als ruhiger. Eben kein typisch deutsches Rentnerpaar.

zott