: Mit List und Tücke hält sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seit anderthalb Jahren an der Macht. Das Ausscheiden seines Außenministers David Levy aus der Koalition könnte jetzt das rechte Regierungsbündnis absurderweise wieder
Mit List und Tücke hält sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seit anderthalb Jahren an der Macht.
Das Ausscheiden seines Außenministers David Levy aus der Koalition könnte jetzt das rechte Regierungsbündnis absurderweise wieder enger zusammenschweißen und den Regierungschef zumindest kurzfristig stärken
Auftrieb durch die Gegner
Sprüche klopfen gehört zu seinem Handwerk. Und ein gehöriges Maß an Chuzpe auch. In der ihm eigenen Mischung aus Trotz und Arroganz harrt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in seinem Amte aus. Der Rücktritt seines Außenministers und der Verlust von fünf Abgeordneten seiner Regierungskoalition scheint ihn nur wenig zu berühren. Den Außenamtsposten hat er erst einmal selbst übernommen. Und den ihm verbliebenen 61 Getreuen in der Knesset bleute er Disziplin ein. In einem Akt demonstrativer Selbstbehauptung ließ er gestern den Haushalt zur Abstimmung stellen. Und das in der wohlkalkulierten Annahme, das Budget 1998 mit einer hauchdünnen Mehrheit durchs Parlament zu bringen.
Der „König von Israel“, wie ihn seine Anhänger überschwenglich titulieren, ist zum „Löwen von Juda“ geworden. Netanjahu kämpft um sein politisches Überleben. Und so, wie er bisherige Krisen und Skandale ausgestanden hat, wird er vor keiner List und keiner Tücke zurückschrecken, um die Macht im Staate zu behalten. So absurd es auch klingen mag: Das Ausscheiden von David Levys Gescher-Fraktion aus der Regierung könnte das rechte Lager mehr denn je zusammenschweißen. Und Netanjahu zumindest kurzfristig stärken. Und das nicht nur, weil Netanjahu mit der Unterstützung der beiden Abgeordneten der ultranationalistischen Moledet-Partei rechnen kann. Eine Mehrheit der Abgeordneten in der Knesset will Neuwahlen vermeiden, schon aus dem rein eigennützigen Bedürfnis, den eigenen Parlamentssitz nicht zu verlieren. Neuwahlen bergen überdies die Gefahr neuer Koalitionen. Und die Groß-Israel- Fraktionäre in der Knesset, die die Umsetzung der Oslo-Vereinbarungen grundsätzlich ablehnen, nehmen lieber das „kleinere Übel“ Netanjahu in Kauf, als Gefahr zu laufen, über Neuwahlen der Arbeitspartei an die Macht zu helfen. Demgegenüber steht jedoch ihre Forderung, Netanjahu zu stürzen, sollte er den vereinbarten zweiten Teilrückzug umsetzen. Unter massivem Druck der US-Regierung hat Netanjahu einen solchen Rückzug in Aussicht gestellt, ohne jedoch konkrete Prozentzahlen zu nennen. Im israelischen Kabinett dürfte eine Mehrheit für einen Rückzug derzeit nicht zu gewinnen sein. Und vorerst kann Netanjahu deshalb Zugeständnisse in der Friedenspolitik gegenüber den Palästinensern unter Hinweis auf seine knappe Mehrheit in der Knesset erst einmal zurückweisen. Die Mission von US- Sonderbotschafter Dennis Ross, der heute in Israel erwartet wird, steht deshalb unter keinem günstigen Stern.
Erwartungsgemäß haben die Palästinenser vor einem völligen Zusammenbruch des Friedensprozesses gewarnt. Arafats Medienberater Bassam Tibi befürchtete gestern sogar, daß nach dem Ausscheiden Levys aus der Regierung kein einziger Punkt des Oslo-Abkommens mehr umgesetzt und Netanjahu sich das Wohlverhalten der Rechten durch eine forcierte Siedlungspolitik erkaufen werde. Die US-Regierung sei bereits über die palästinensischen Bedenken informiert worden, versicherte Verhandlungsführer Saeb Ereikat gestern.
Die zu erwartende Hinhaltetaktik Netanjahus im Friedensprozeß hat den nicht unerheblichen Nachteil, die politische Handlungsunfähigkeit der israelischen Regierung bloßzustellen. Und neue Risse im Regierungslager aufzudecken. Die Rücktrittsdrohung von Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai offenbart den schier unüberbrückbaren Zwiespalt, vor dem Netanjahu steht. Mordechai hatte seinen Rücktritt angekündigt, sollte die Regierung einen nennenswerten Teilrückzug aus den besetzten Gebieten blockieren. Damit hat er sich demonstrativ auf die Seite der US-Regierung gestellt, die einen solchen Rückzug fordert. Allerdings dürfte auch Mordechai erst den Besuch Netanjahus bei US- Präsident Bill Clinton abwarten, der für den 20. Januar geplant ist. Die US-Regierung setzt darauf, Netanjahu in Washington weichzuklopfen. Eine Entscheidung des israelischen Kabinetts über den nächsten Teilrückzug soll den US- Wünschen zufolge deshalb erst nach dem Treffen zwischen Netanjahu und Clinton sowie dem anschließenden Besuch von Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Washington fallen.
Die Palästinenser haben allen Grund, Netanjahus taktische Spitzfindigkeiten zu fürchten. Es erscheint nicht völlig augeschlossen, daß Netanjahu einen Teilrückzug anbietet, der geringfügig hinter den US-Erwartungen von 15 Prozent zurückbleibt. Da die Palästinenser einen 30prozentigen Rückzug fordern, dürfte Netanjahu damit rechnen, daß die Palästinenser sein Angebot zurückweisen werden. Mit dieser Argumentation könnte er zumindest ein vorübergehendes Stillhalten der Groß-Israel-Fraktionäre aushandeln. Und der Schwarze Peter läge dann erst einmal wieder im palästinensischen Lager.
Doch die Instabilität einer israelischen Regierung, die von den Stimmungen im rechten Lager abhängig ist, dürfte Netanjahu mittelfristig nicht beseitigen können. Nach Meldungen des israelischen Rundfunks erwägt Netanjahu deshalb inzwischen die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß er sich — in gewohnter Manier — erst einmal aufs Aussitzen beschränken wird. Bei einer völligen Blockade des Friedensprozesses muß er jedoch mit massiven Pressionen der US- Regierung rechnen. In einem solchen Falle droht Netanjahu dem eigenen Lager gewöhnlich mit einer großen Koalition. Der Chef der Arbeitspartei, Ehud Barak, hat wiederholt erklärt, daß er sich im Falle einer nationalen Krise einer solchen Koalition nicht grundsätzlich verschließen würde. Doch erntete er in den eigenen Reihen auch massiven Widerspruch.
In den anderthalb Jahren seit seinem Machtantritt ist der politische Handlungsspielraum des israelischen Regierungschefs beständig eingeschränkt worden. Das Auseinanderbröckeln der Regierungskoalition ist die direkte Folge von Skandalen und widersprüchlichen Entscheidungen überschatteten Regierung Netanjahu. Vieles deutet derzeit darauf hin, daß Netanjahu vor dem Offenbarungseid steht. Doch ob er ihn wirklich bald leisten muß, ist alles andere als ausgemacht. Zu Fall bringen könne Netanjahu sich letztlich nur selbst, schrieb ein Kommentator der israelischen Tageszeitung Haaretz. Und fügte hinzu, es sei eine Schande für die israelische Politik, auf einen solchen Schritt warten zu müssen. Georg Baltissen, Jerusalem
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