: Ein Fluchtfenster aus dem Alltag
Räume zwischen Tristesse und Wunschbildung. Wo die DDR am DDRsten war: Auf den Fotos von Bertram Kober organisiert sich der ehemalige Warenfetischismus Ost neu. Farbposter dienten als Trostspender. Jetzt werden die Aufnahmen in Berlin gezeigt ■ Von Andreas Hergeth
Das waren noch realsozialistische Zeiten, als die Schrankwände vieler DDR-Bürger nicht nur Schnickschnack jeglicher Art bargen. Entweder in Reihe oder auch pyramidal aufgebahrt, standen da kleine bunte Blechdosen, dem Klassenfeind abgeluchst. Heute sind die Cola- und Bierdosen weggeräumt. Seitdem nicht mehr in der Kaufhalle eingekauft wird, sind die einst begehrten Güter des Westens schnöder Alltag.
Der gemeine DDR-Bürger hatte also Sinn fürs Schöne. Das ist auch auf den Fotografien von Bertram Kober zu sehen, der für sein Projekt „KULPOCHE“, das im Titel Kultur und Epoche mixt, „Altäre der Privatheit“ zusammengetragen hat. Über einen Zeitraum von 13 Jahren entstanden zumeist in der sächsischen Provinz – wo die DDR am DDRsten war – Farbfotografien: Studien von Räumen, die von den einstigen Benutzern längst verlassen wurden. Biographisch gesehen beschreiben sie zwischen 83 und 96 die Zeitspannne von den ersten Arbeiten des Leipziger Fotografiestudenten bis zu den jüngsten Bildern als freiberuflicher Fotograf. Die Arbeiten liegen jetzt in Buchform vor, zudem sind sie neben anderen Fotos in der ersten großen Einzelausstellung des 36jährigen in Berlin- Friedrichshain zu sehen.
Zeit ist bei Kober von Bedeutung. Da ist zum Beispiel dieses seltsam traurige Bild von 1983 aus einer Erfurter Wohnung. Eine Flurgarderobe erzählt von den Bewohnern: Drei Strickjacken hängen ordentlich zugeknöpft auf dem Bügel; darunter zwei Schirme, Gehstock, Spiegel, kleine Anrichte mit Kamm und Spraydose; die Hutablage ist leer, darunter aber hängt eine dieser durchsichtigen Regenhauben aus Plaste, die viele DDR-Frauen gerne bei schlechtem Wetter trugen; viele Schlüssel, ein kleiner handgeschriebener Zettel: „Bin bei den Katzen“; und noch ein Gehstock, zwei Krücken. Im Spiegel spiegelt sich ein Bild.
Überhaupt zeigt Kober meist Bilder, in denen Bilder auftauchen. Sie erzählen wiederum Geschichten von den Menschen, die sie einst an die Wand pinnten. Da ist die Gaststätte in Lößnitz, mitten im Erzgebirge. An der Wand hängt ein längst ausgebleichtes Poster mit einer Hügellandschaft. Warum holen sich Menschen, die mitten in den Bergen wohnen, dieselben auf Papier ins Haus?
Oder das immer wiederkehrende Motiv der trostlos wirkenden Wände aus abgewickelten Betrieben. Tapeten sind gammlig, zerschlissen, an nackten Wänden bröckelt Putz, Farbe platzt ab. Doch inmitten dieser Tristesse gab es Poster als Trostspender: Farbdrucke von Bildern alter Meister und von Bären, kleinen Häschen oder einer Interflug-Maschine, die gerade, zwischen zwei Fenstern hängend, zum Start ansetzt. Ein Fluchtfenster aus dem Alltag. Daneben Reste einer Grünpflanze, längst vertrocknet, und unter ihr ein Bild gelber Blüten.
Ganz selbstverständlich holte sich der DDR-Bürger die Sinnbilder seiner Sehnsüchte in die gute Stube und an den Arbeitsplatz. Auch wenn es nur farbenfrohe Papierbilder oder Blechdosen aus dem Westen waren. Im authentischen Ambiente überlagern sich die unterschiedlichen Gegenstandskulturen zweier Gesellschaftsordnungen: Der Westen war im Osten halt stets präsent, und wenn es nur die leere Seifenschachtel aus dem Westpaket oder dem Intershop war. So gehen die Flurgarderobe, die DDR-typische Strukturtapete (ist Rauhfaser typisch westdeutsch?) und irgendwann und irgendwie hinzugekommene Versatzstücke westlicher Konsumwelt eigenartige Verbindungen ein, in denen sich Zeitebenen begegnen. Sehnsucht nach der weiten westlichen Welt – die sich ganz jämmerlich (und notgedrungen) an leere Aluminiumdosen klammert. Aber „das Ungelebte ließ sich nicht durch Sehnsuchtsmotive ersetzen, leere Behältnisse bleiben zurück. Ablagerungen menschlicher Geschichte“, wie Andreas Krase im Vorwort schreibt.
So wie die Pflanze vertrocknete, die Bilder ausbleichten, sich überall Staub wie eine Patina über Schraubstöcke und leere Stühle legte, ist klar: Das sind vergangene Zeiten. Mit wachem Blick für verblüffende Details entstanden bei Kober schaurig-schöne Bilder. Authentischer als viele Fotografien zum Thema, die oft genug mit billigen Klischees à la Honecker- Double und FDJ-Party arbeiten. Kobers Aufnahmen wirken trostlos, doch lebendig. Nur Staubwischen, und es könnte weitergehen. So wie im „Hotel zur Post“ in Pirna, an dessen Wänden seltsame Stilleben aus Schiffsnetzen und Bilderchen nackter Frauen drapiert sind.
Das wirkt genauso trist und banal wie die Büste, die in der Leipziger Universitätsbibliothek über den Karteikästen trohnt, genauso melancholisch wie die Bilder aus den stillgelegten Betrieben, aus längst vergangener Zeit. Am Geschmack hat sich auch über den Zeitensprung von 1989 hinweg scheinbar nicht viel verändert. Schon längst ziert wieder so mancher Schrein ostdeutsche Küchen oder Wohnstuben, in denen auch leere Verpackungen stehen. Nur sind es diesmal Boten der verflossenen sozialistischen Konsumwelt.
Bertram Kober, „KULPOCHE“ – Altäre der Privatheit, bis 17.1., Kulturamt Friedrichshain, Berlin. Katalog, Faber & Faber Leipzig, 80 S., 35 DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen