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Ein Signal gegen deutsche Ignoranz

■ In Italien befürworten die Parteien politisches Asyl für die Kurden. Bürgermeister und hilfsbereite Bürger üben praktische Solidarität

Ob in der linksliberalen Olivenbaumkoalition oder in der Rechtsopposition, ob in den Reihen der Grünen oder denen der partikularistischen Union für Südtirol – daß den Kurden politisches Asyl oder zumindest eine langfristige Duldung gewährt werden muß, scheint in Italien Konsens zu sein. Und während in Deutschland immer wieder der Verdacht lanciert wird, Italien wolle die anlandenden Frauen, Kinder und Männer baldmöglichst nach Deutschland durchschleusen, schaffen mitfühlende Bürgermeister bereits Fakten. So haben etwa in Badolato Superiore über 20 Familien, insgesamt an die hundert Personen, durchaus nicht unkomfortable Häuser bezogen.

Die Einwohner des Kleinstädtchens in Kalabrien haben sie freundlich bis begeistert empfangen. Der Ort hatte noch vor 20 Jahren mehr als 7.000 Einwohner, durch die Emigration ist er auf gerade mal 600 geschrumpft. „Die können doch wieder Leben in die Stadt bringen“, sagt der Bürgermeister und hat ihnen auch gleich Arbeitsmöglichkeiten verschafft.

Daß Italien es mittlerweile ernst meint mit dem Angebot politischen Asyls und nicht nur Schaufensteraktionen plant, dürfte jenseits aller zu Recht kritisierten taktischen Manöver und politischen Schachzüge klar sein. Gut die Hälfte der inzwischen 820 den Behörden bekannten illegalen kurdischen Einwanderer haben bis jetzt politische Asyl beantragt. Und es wird ihnen ausnahmslos gewährt werden, so jedenfalls die Regierungsvorgabe – auch nach der massiven Kritik der Türkei an dieser Bereitschaft.

Die meisten Antragsteller kommen von dem zu Weihnachten gestrandeten Schiff Ararat: 375 von 480 Angekommenen. Doch wahrscheinlich werden es die meisten später Dazugekommenen auch bald tun. „Die müssen sich erst mal schlau machen, denn als sie zu Hause starteten, haben ihnen die Menschenhändler eingeschärft, den Antrag auf keinen Fall in Italien zu stellen, sondern erst in Deutschland oder Frankreich“, so ein Regierungsinspektor in Soverato, wo das größte Notaufnahmelager eingerichtet ist.

Trotz eines Telefongeprächs zwischen Helmut Kohl und dem derzeit in Indien weilenden italienischen Premier Prodi sorgt die Kurdenfrage jedoch weiter für großen Ärger zwischen den beiden Staaten. Nach neuerlichen Anwürfen hoher Unionspolitiker haben Sprecher des Schengen-Komitees den deutschen Lautsprechern regelrechte Verzerrung der Tatsachen sowie massive Ignoranz vorgeworfen. „Wer in Deutschland davon redet, daß man ,die eben geöffneten Grenzen halt wieder zumachen‘ müsse“, so ein Sprecher des Komitees, „weiß offenbar nicht, wovon er redet. Bisher sind nur an Flughäfen die Grenzformalitäten aufgehoben worden, nicht auf Straßen und Eisenbahnen. Doch bisher ist nicht ein einziger Fall bekannt, wo Kurden per Flugzeug nach Deutschland zu kommen versucht haben.“

Da sich auch der von der bayerischen Grenzpolizei gestreute Hinweis auf gut 10.000 weitere bereits in Marsch befindlicher Kurden als Ente erwiesen hat, bewerten italienische Kommentatoren den Furor teutonicus gegen die Kurden einerseits als wahltaktisches Geschrei, andererseits als Versuch, das bei den EU-Großen eher ungeliebte Italien wieder mal zu desavouieren, nachdem es mit der Haushaltspolitik nicht hingehauen hat und das Land in Sachen Euro- Beitritt besser dasteht als Deutschland selbst. Werner Raith, Rom

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