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Hofhalten am Paul-Lincke-Ufer

Noch ist die Yuppietown Kreuzberg nicht out. Mit Loft-Living in den Paul-Lincke-Höfen versucht die Firma Realprojekt Fabriketagen für 7.000 Mark pro Quadratmeter zu verkaufen  ■ Von Uwe Rada

„Ein Objekt mit musikalischer Lage“ nennen die Jung-Projektentwickler der Firma Realprojekt ihr bislang ambitioniertestes Vorhaben, die „Paul-Lincke-Höfe“ in Kreuzberg. Der Grund: Im Straßengeviert rund um das Paul-Lincke-Ufer hatte der Berliner Komponist nicht nur seinen Musikverlag, sondern produzierten einst auch vier Pianofabriken, darunter die von Carl Bechstein. Wer in den Paul-Lincke-Höfen jedoch auf Altberliner Kolorit inmitten der Berliner Luft, Luft, Luft hofft, wird enttäuscht. Statt dessen soll in den fünf Höfen zwischen Landwehrkanal und Reichenberger Straße noch in diesem Jahr das Lebensgefühl der 90er Jahre zelebriert werden: Individuelles Wohnen in großzügigen, luxuriösen Räumen.

Gilt Paul Lincke als Begründer des musikalischen Schlagers, hofft Willo Göpel jetzt auf den neuen Immobilien-Schlager. Loft-Living heißt das Schlagwort, mit dem der Sprecher der Firma Realprojekt Londoner und New Yorker Sehnsüchte bereits mit dem Umbau einer alten Nudelfabrik in der Chausseestraße dem Berliner Publikum schmackhaft zu machen versucht hatte. Offenbar mit Erfolg. Sämtliche Lofts waren kurz nach Projektbeginn verkauft.

Mit den Paul-Lincke-Höfen soll das Erfolgsrezept Loft-Living nun fortgesetzt werden – nur größer und ambitionierter. Auf insgesamt 15.000 Quadratmetern soll auf dem Gelände, das Realprojekt für eine „zweistellige Millionensumme“ 1996 von der Firma Bosse erworben hatte, bis Jahresende eine „kreative Mischung“ aus Wohnen und Arbeiten entstehen. Die Wohn-Lofts werden in drei Ausstattungsvarianten angeboten: „Liberty State“, „Chelsea Top“ und „New Berlin“. Bei ersterem ist der Ausbau ganz dem Käufer überlassen, bei der zweiten Variante findet er eine bezugsfertige Variante vor und bei letzterer eine durchkomponierte Designer-Innenarchitektur. Dazu kommt eine Hof-Gestaltung der amerikanischen Landart-Künstlerin Martha Schwartz, deren paradiesische Gärten der Neon-Künstler Maurizio Nanucci wie in den Sophie- Gips-Höfen in Mitte in blaues, grünes oder gelbes Licht tauchen soll. Einzig auf den Genuß von Feuerwehrleitern wie im New Yorker Stadtteil SoHo müssen die künftigen Nutzer verzichten. Solcher Schnickschnack ist in den hiesigen Bauvorschriften nicht vorgesehen.

Die urbanen Träume haben ihren Preis. 1,6 Millionen Mark kostet das teuerste Dachgeschoß-Designer-Loft in den Paul-Lincke- Höfen, zwei Stockwerke umfassend, 235 Quadratmeter groß und nach den Plänen des Architekten Christoph Langhof gebaut. Damit erstreckt sich die Preisspanne der Luxus-Fabriketagen zwischen 4.000 und knapp 7.000 Mark pro Quadratmeter.

Beinahe scheint es, als erfahre der Nachwende-„Traum“ der Yuppietown Kreuzberg eine neue Auflage. Glaubt man der aufwendig erstellten Broschüre über das kommende „Loft-Leben in Berlin“, gilt Kreuzberg als Standort mit Zukunft. Und mit hoher Lebensqualität: „Heute“, so heißt es, „ist die Luisenstadt eine weitgehend ruhige, kinderfreundliche Wohngegend“. Doch der „Traum“ ist längst von der Wirklichkeit eingeholt. Zahlreiche Dachgeschoßwohnungen stehen leer, einkommensstarke Bewohner verlassen den Bezirk, Verarmung und Aggressionen nehmen zu. Allein rund um die Paul-Lincke-Höfe haben im letzten Jahr zwei Jugendzentren aufgegeben.

Für Realprojekt-Sprecher Willo Göpel spielt das freilich ebensowenig eine Rolle wie für die Interessenten am Kreuzberger Loft-Living. Innerhalb von nur drei Monaten, freut sich der ehemalige RCDS-Funktionär und Rathausreporter der Bild-Zeitung, seien 65 Prozent der Lofts im ersten Bauabschnitt verkauft worden – an Schauspieler, Stadtplaner und Grafiker, aber auch an Beamte aus Bonn und Berlin. Für Göpel ein Erfolg, der zeige, daß die alte Kreuzberger Mischung langsam durch eine neue ersetzt werde.

Den Neuen in der Kreuzberger Mischung soll es – das unterscheidet sie von den Alten – an nichts fehlen. „Hof halten wie zu Paul Linckes Zeiten“ lautet die Devise. „Wer einmal in den Paul-Lincke- Höfen leben wird“, offeriert das Werbeprospekt, „hat einen ganzen Stab von Bediensteten und Zuträgern“. Dazu gehören nicht nur Friseur-Service, Gäste-Shuttle, Baby,- Haustier- und Pflanzenservice, sondern auch ein Fuhrpark von „Stattauto“. Geplant sind unter anderem eine Luxuslimousine, ein Cabriolet, ein Klein- und ein Mittelklassewagen.

Soviel Altruismus stößt freilich nicht überall auf Gegenliebe. Für heute plant die PDS eine Kundgebung gegen die Paul-Lincke- Adaption mit dem Berliner Loft, Loft, Loft. Motto: „So hatten wir uns die Kreuzberger Mischung nicht vorgestellt.“

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