: Squatter-Siedlungen und Millionärsvillen
Ein Besuch im südafrikanischen Township Soweto: Die Verwaltung deckt die Bahnhöfe mit Wellblech, die Squatter decken sie wieder ab. Baustoffe sind für die Besitzlosen ansonsten zu teuer. Die Besitzenden wohnen nebenan in videoüberwachten Villen ■ Von Ludwig Witzani
Nur mal sehen, was los war, wollte der zwölfjährige Hector Peterson, als am 16. Juni 1976 die Jugendlichen von Soweto gegen die staatliche Apartheidpolitik demonstrierten. Die Polizei wußte sich nicht anders zu behaupten, als wahllos und panisch in die unbewaffnete Menge zu schießen. Hector wurde das erste Opfer einer Polizistenkugel, das Pressebild des sterbenden Kindes ging als Symbol des Rassismus um die Welt. In den folgenden Monaten brannten die Townships des Landes, insgesamt 500 Menschen wurden erschossen. Das Massaker von Soweto markierte den Anfang vom langen Ende des südafrikanischen Apartheidstaats.
Heute, gut 20 Jahre später, kommen täglich Touristengruppen aus Johannesburg und besichtigen am Beginn ihrer Rundreise das kleine Denkmal, das an den Aufstand von Soweto erinnert. In gut gesicherten Fahrzeugen fahren sie durch die Straßen Sowetos wie durch die Löwenbezirke des Krüger-Nationalparks. Sie schauen, staunen und sind betroffen.
Ein Besuch Sowetos gehört zu den eindringlichsten Erlebnissen einer Südafrikareise. Die Zeiten, in denen Hunderttausende farbiger Industriearbeiter als Reserve der südafrikanischen Industrie in Soweto wie Sklaven eingepfercht wurden, sind vorbei, die Früchte des großen Wandels am Kap lassen aber auf sich warten. Im Gegenteil: Angelockt von den Verdienstchancen des südafrikanischen Industriegürtels zog es nach dem Ende der Apartheid die gesamte ethnische Vielfalt des afrikanischen Südens nach Soweto – eine Völkerwanderung, die die Barackenstadt mit ihren mittlerweile drei Millionen Einwohnern endgültig in ein soziales Kastastrophengebiet verwandelte.
Die Zustände in Diepklooft, dem größten der zahlreichen Massenunterkünfte Sowetos, sind unerträglich. Nur durch dünne Wände voneinander getrennt, vegetieren über 14.000 Personen in Hunderten winziger Kammern mit jeweils 16 Pritschen. In den Wohnsilos zusammengepfercht, werden die Xhosas, Zulus, Tswanas, Sotho, Tsonga, Venda, die in Diepklooft als völlig Fremde aufeinandertreffen, ständig zu Mördern oder Mordopfern.
Nach einem Aufenthalt in Diepklooft gelten die elenden Squatter- Siedlungen, die winzigen und verbauten Blechgehäuse, die in nahezu allen Stadtteilen Sowetos anzutreffen sind, bereits als sozialer Aufstieg. Das Blech, das die Menschen zur Etablierung ihrer Existenz als Baustoff benötigen, wird in der Nacht von den öffentlichen Gebäuden abmontiert. Die Bahnhofsstationen Sowetos werden regelmäßig von der Verwaltung neu überdacht und dann von den Bedürftigen in wenigen Nächten wieder abgebaut. Nur die wenigstens Bewohner Sowetos verfügen über das nötige Geld, für das es auf den Straßenmärkten von Soweto zurechtgeschnittene Blechstücke zu kaufen gibt. Die wild siedelnden Squatter mit ihren Rohblechvorräten zieht es meist nach „Mandelaville“. Dort hat die Regierung inzwischen wenigstens mit dem Aufbau der notdürftigsten Infrastruktur in Gestalt von Chemotoiletten, Abfalltonnen und öffentlichen Wasserhähnen begonnen.
Aber Soweto wäre nicht der Mikrokosmos des sich wandelnden afrikanischen Lebens, existierte nicht auch ein als „Beverly Hills“ gekennzeichnetes Viertel der Millionäre und Prominenten. Der Friedensnobelpreisträger Bischof Tutu lebt hier ebenso wie Winnie Madizikela-Mandela. Wie eine gesicherte Festung gegen die Not unterhalb der Hügel wirkt heute ihr geräumiges, mit Spendengeldern von Jane Fonda, Clint Eastwood und anderen erbautes Anwesen. Die Besucher, die gleich neben dem Häuserkomplex auf einen Hügel steigen, um einen Blick hinter die Mauern zu werfen, erblicken nichts als Videokameras und Leibwächter. Und doch: Soweto ist nicht nur ein Agglomerat der Gewalt und der Not, es existieren inzwischen auch weit über 200 Schulen und eine Universität, die Kirchen werden allsonntäglich gut besucht, und die „Orlando Pirates“ empfangen Auswärtsmannschaften zum Soccer-Meisterschaftsspiel. Blickt man nur etwas genauer hin, wird die Infrastruktur der Normalität wenigstens in Ansätzen sichtbar: Es gibt Spielplätze und Altenheime, Diskotheken, Supermärkte und Kinos, außerdem sogenannte „Hexenmärkte“, auf denen die Einwohner Kräuter und Elixiere gegen jegliches Unheil ordern können. In manchen Revieren der Stadt wird auf den Hütten noch immer geflaggt, wenn sich ein Bewohner verliebt hat. In den Shebeens, den improvisierten, halbprivaten Kneipen in den Hinterzimmern, in denen sich die Nachbarschaft trifft, ist die Stimmung gut. Die Initiativkraft der Bewohner scheint ungebrochen: Ein umgebauter und bunt angestrichener Bus wird zum Kindergarten, in dem Waisenkinder von freiwilligen Helfern betreut und unterrichtet werden. Nebenan sieht man Jugendliche auf einem leidlich ebenen Rasen einen Golfplatz anlegen – als sei die Verbesserung der Verhältnisse nur eine Frage der Zeit.
Einfühlsam organisierte, halbtägige Besichtigungstouren in Soweto mit Besuchen in Kindergärten, Kirchen und Schulen bietet „Jimmy's Face to Face Tour“ zweimal täglich von allen größeren Hotels Johannesburgs aus.
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