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Initiativen entsetzt über Kölner Behindertenurteil

■ Das Urteil, das Behinderte als Lärmfaktor einstuft, sorgt für einhellige Empörung. Der Träger der Wohngruppe im Kreis Düren will vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen

Berlin (taz) – „Das grenzt an Freiheitsberaubung“, sagte Bernhard Conrads von der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband schlug in die gleiche Kerbe: „Es ist eine Schande, wenn Gerichte behinderte Menschen wegsperren, weil sie sich anders artikulieren als Nichtbehinderte.“

Am Donnerstag hatte das Kölner Oberlandesgericht entschieden, daß sieben geistig behinderte Männer nur noch zu bestimmten Zeiten im Garten ihrer Wohngruppe den Mund aufmachen dürfen. Das Gericht gab damit einem Nachbarn recht, der sich durch Laute der Behinderten in der Nutzung seines Grundstücks „unzumutbar beschnitten“ fühlte.

Am Freitag sorgte vor allem die Begründung des Schweigegebots für Empörung. Denn nicht die Lautstärke, sondern die „klangliche Ausgestaltung“ der Behindertensprache sei „ungemein belastend“, hatte die siebte Zivilkammer geurteilt. Personen, die nicht ständig mit Behinderten zu tun hätten, seien „die leider unverständlichen Versuche der Artikulation“ nicht dauerhaft zuzumuten. Daß diese Begründung unzumutbar ist, das glaubt dagegen der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Otto Regenspurger (CSU). Er empfiehlt den Gang vor das Bundesverfassungsgericht. „Menschen wie du und ich, ein bißchen anders, werden da mit Rasenmähern gleichgesetzt, die Lärm machen“, erklärte Regenspurger im Saarländischen Rundfunk. Klagen gegen den Lärm von Kindern oder Behinderten seien „Zeichen einer unmenschlichen Gesellschaft“.

Der Landschaftsverband Rheinland, Träger der Behindertenwohngruppe im Kreis Düren, kündigte unterdessen eine Verfassungsklage an. „Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche“, sagte Sprecher Klaus Jacobi. In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Auch das Diakonische Werk befürchtet, das Kölner Urteil könne das Signal für eine generelle Einschränkung der Rechte von Behinderten sein. Das Kölner Urteil sei ein „Skandal“ und ein „Schlag ins Gesicht“ all derer, die sich um die Integration von Behinderten bemühen. „Die zeitlichen Einschränkungen für die geistig behinderten Männer sind schärfer als die Auflagen für die Nutzung einer Bohrmaschine“, sagte Sprecher Wolfgang Thielmann. Wenn diese Art von Rechtsprechung Schule mache, müßten Behinderte schließlich völlig „weggesperrt“ werden.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte ein Gleichstellungsgesetz. Das Anti-Diskriminierungs-Gebot des Grundgesetzes müsse endlich in die Praxis umgesetzt werden.

Ariel Hauptmeier

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