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Zorn, der aus der Ursuppe stieg

■ „Funker Vogt“morst flinke Katastrophen-Signale im Römer, Bremens Zentrale für Electric Body Music

Dürfen die das? Dürfen Besitzer von Fielmannbrillen, Träger von Jacketts und Krawatten, die um ordnungsgemäß-gerade Fassung schlurfiger Körperkonturen ringen, Inhaber von blassen Abiturientengesichtern ohne jeden Kaumuskelhubbel, ohne jedes Gramfaltental, dürfen solche Wie-Du-und-ich-oder-sogar-noch-ein-bißchen-schlapper-Menschen singen, daß sie „Tod gut finden“. Dürfen sie den schwarz bekleideten und dunkel beseelten Gästen des Römers, die anstelle einer Frisur wagemutige graphische Musterungen auf dem Kopf tragen, vom Glück des Maschinenmenschen vorsingen? Das Trio „Isecs“aus Bremen-umzu tut's einfach. Irgendwie einleuchtend: Wenn man schon nicht das Zeug zum Kraftmenschen hat, versucht man's in guter alter Tradition als Kraftwerker. Dabei pendelt ein Dirigierstäbchen ein wenig unentschlossen, aber deutlich um mechanische Unmenschlichkeit bemüht, in den Händen des Gesangsroboters. Sein Gesicht ist frei von allem mimischen Ausdruckswillen. Nur die Augen zucken von einer Seite zur anderen; ach nein, ist ja nur eine Täuschung der sprunghaften Beleuchtung.

Was Isecs mit ihrem Status als Vorband natürlich nicht dürfen, ist laut aufdrehen. Deshalb verfangen sich die schleichend langsamen, aber beherzten rhythmischen Faustschläge im Labyrinth der Ohrmuschel statt unter der Gürtellinie im Magen zu landen.

„Funker Vogt“, die Hauptsache an diesem Abend in Bremens Hochburg der wonnigen Verzweiflung, hatte dann den richtigen Body zur Electric Body Music, katzenhaft-lauern auf der Bühne herumpirschend, solange bis es ihn packt und er zuckt. Nach den Schlipsträgern von Isecs machte das Ringerhemd des Funkers erst so richtig froh. Eigentlich also erfüllten Isecs ihre Rolle als lebender Gegensatz sehr gut. Kann man nicht klagen.

Funker Vogt raunt englisch. Das erfährt man aus dem CD-Booklet. Er dürfte aber auch auf Deutsch seine Grausamkeiten von Krieg und der Liebe zu Elfjährigen erzählen, weil der Zuhörer eh nur eine Kette von geheimnisvollen Kehlkopferzeugnissen wahrnimmt. Schön so, denn das wahre Grauen muß immer namenlos und ungreifbar wie ein Alien bleiben. Bei vielen Liedern schälen sich die Rhythmen aus einer amorphen Klangursuppe heraus. Dann aber wummt es unerbittlich – bis plötzlich der Rhythmus wegbricht, als hätte man eine Tür zugeschlagen - und ein ganz anderer im Raum steht. Er muß unter dem ersten Rhythmus im musikalischen Untergrund gelauert haben. Diese Existenz mehrerer rhythmischer Welten wirkt so magisch, daß man auf einmal ganz sicher ist: die von schwebenden Engeln gehaltenen Glühbirnen – sie imitieren Kerzenlicht – flackern auf Geheiß der Musik. Und züngelt da nicht das monströse Tattoo-Gesicht vom Oberarm des Funkers zu den ernsten Gästen des Römers frech herab? Funker Vogt jedenfalls blickt zornig. Zorn kann so schön sein. bk

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